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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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war, lag hinter dem Schlafzimmer. Um zur Toilette zu kommen, musste ich mich an ihrem Bett vorbeiquetschen.
    In allen Räumen lag der gleiche strapazierfähige Teppichboden, dunkelblau, und es gab nur zwei Fenster, hoch oben und vergittert, wobei im Schlafzimmer die Klimaanlage montiert war. Die Wohnung war dunkel. Dunkel und angenehm kühl und erfüllt von der Liebe meiner Mutter – im Vergleich zur Welt draußen eine wahre Zufluchtstätte.
    Mein Bett, eine Doppelmatratze, lag im Wohnzimmer in der Ecke. Meine Mutter sorgte dafür, dass das Bettzeug immer hübsch anzusehen war und frisch duftete. An den Wänden in meiner Ecke hingen meine eigenen, in der Schule gemalten Bilder und später meine Urkunden. Meine Kleider lagen, ordentlich gefaltet, in übereinander gestapelten Milchkisten. Als ich kleiner war, befestigte sie ein pfirsichfarbenes Laken so an den Wänden, dass es wie ein Himmel über meinem Bett hing. Eine kleine Lampe hatte ich auch. Abends krabbelte sie zu mir unter den Himmel und erzählte mir von Kubas eigener Jungfrau Maria, der Virgen del Caridad del Cobre , die die Wellen des Karibischen Meers besänftigt und drei Männer vor dem Ertrinken gerettet hatte. Sie sprach Gedichte von José Martí und strich mir über die Stirn, bis ich in den Schlaf hinüberglitt. Ich habe mich dort immer wohlig und sicher gefühlt.
    Ein alter Holzschreibtisch war mit der Schmalseite an die gegenüberliegende Wand geschoben. Wenn ich nach Hause kam, war er frei geräumt; nur ein Glas Milch und ein Teller mit zwei Oreo-Keksen standen dort bereit. Zeit für die Hausaufgaben. Mamá fragte kurz, wie mein Tag war, und machte sich dann ans Kochen, während ich buchstabierte und Matheaufgaben löste.
    Sobald ich fertig war, packte ich die Schulsachen in den Ranzen, nahm die grüne Tischdecke aus der Schublade, breitete sie aus und glättete die Fältchen. Dann holte ich unsere gelben Stoffservietten, die großen blauen Plastikschüsseln, Becher fürs Wasser und Besteck. Erst als ich am College war, dämmerte mir, das manche Leute – echte Leute, nicht nur Fernsehfiguren – Tische haben, an denen ausschließlich gegessenwird, und dass nicht alle auf Metall-Klappstühlen bei Tisch sitzen.
    In meiner Kindheit, mit meiner Mamá, waren die Abende immer angenehm. Im Hintergrund lief eine Kassette mit Musik von Arsenio Rodríguez, Celia Cruz, Benny Moré oder Machito, und wir unterhielten uns über unseren Tag, über Schmetterlinge oder Schwimmbäder, oder Kuba, oder das, was uns sonst in den Sinn kam, und es war immer schön und einfach. Es fühlte sich an, als zirkuliere zwischen ihr und mir ein ununterbrochener Strom von Liebe, als würde durch unser Beisammensein ein Netz gewebt, eine Hängematte, die uns trug und sanft wiegte, sobald wir die Tür verschlossen und verriegelt und die Welt draußen ausgesperrt hatten.
    Ich bin aufgewachsen mit der uneingeschränkten Liebe und Zuwendung meiner Mutter, die mir durch keinen Mann streitig gemacht wurde. All ihre Sanftmut galt mir, und zu Hause war ich immer glücklich. Die Zuneigung meiner Mutter war die steigende Flut, die mein kleines Boot trug, bis ich allein die Segel setzen konnte.
    Als die Desire Projects 2003 abgerissen wurden, auf dass New Orleans sicherer und sauberer werde, haben wir offiziell alle bekundet, wie froh wir darüber seien. Ja, der Wohnkomplex galt als Plage. In der Presse war von einem »Nest des Verbrechens« die Rede, so als seien wir Bewohner Kakerlaken und die Abrissbirnen eine Ladung Insektenvernichtungsmittel. Ja, die Stadt tat gut daran, sich dieser Häuser zu entledigen.
    Aber meine Mutter und ich waren, als die Wände tatsächlich einstürzten, nicht die Einzigen, die dastanden und weinten. So gefährlich es in den Projects auch gewesen sein mochte, sie hatte mir dort den Himmel auf Erden bereitet. Es war unser Zuhause, das fiel, unsere Geschichte. Nun gingen Fremde da hinein und ließen ihre Sirenen heulen, und unsere vertraute Umgebung zerfiel zu Staub.
    Der alte Schreibtisch steht heute in ihrem Schlafzimmer, an dessen zwei großen Fenstern Spitzengardinen hängen, und imWohnzimmer steht das kleine Korbsofa, von dem sie immer geträumt hat. Auch jetzt hat sie nur eine Kochnische und keine Küche von der Art, die sie in Zeitschriften bewundert, aber sie besitzt einen Küchentisch nur für die Mahlzeiten, und aus dem Fenster über ihrer Spüle schaut sie auf Bäume. Allein das, sagt sie, macht schon den Unterschied. Ihre Wohnung befindet sich in

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