Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
Vom Netzwerk:
ihren Eltern gelöst haben.
    Es hilft nichts.
    Was hilft, ist Grey-Goose-Wodka, ein Schluck nach dem anderen, direkt am offenen Kühlschrank, bis das Bild ihrer traurigen Augen verblasst.
    Ich hänge schlapp auf dem Sofa und schalte um sechs den Fernseher ein, um die Lokalnachrichten zu schauen.
    Amber Waybridges Gesicht erscheint auf dem Bildschirm, während die Sprecherin verkündet, dass es in dem Fall noch keinen Durchbruch gibt.
    Plötzlich wieder hellwach, greife ich zum Handy, um Calinda das Foto, das ich gestern Abend von Mr. Niemand gemacht habe, als MMS zu schicken. Der Schnappschuss ist dunkel undnicht besonders scharf. Während die Nachrichtensprecherin etwas über den jüngsten Finanzskandal im Rathaus herunterleiert, schreibe ich zu dem Bild, dass dieser Mann ein untergetauchter Ex-Häftling ist und dass Calinda nachsehen soll, ob sie in der Datenbank etwas zu ihm findet.
    Dann schalte ich um auf CNN, wo die Meldung des Tages aus Texas kommt: eine groß angelegte Razzia auf dem Gelände einer Polygamistensekte. Jetzt sind die weißen Gebäude im nationalen Nachrichtensender zu sehen, und wir können verfolgen, wie Kinder, deren Gesichter unkenntlich gemacht sind, in Busse steigen.
    Im Tempel der Sekte stehe ein Bett, erklärt die nichtssagendhübsche Nachrichtensprecherin, die wohlbehütet in ihrem CNN-Studio sitzt, ein Bett, auf dem die polygamen Ehen dieser Kinder mit dreißig-, vierzig- oder fünfzigjährigen Männern vollzogen worden seien. Ältere männliche Angehörige der Sekte hätten »der Zeremonie beigewohnt«. Mein Puls beschleunigt sich. Ehen vollzogen?
    Ich bin Journalistin geworden, weil es mich fasziniert, welchen Nuancenreichtum und damit welche Möglichkeiten, präzise zu sein, die Sprache bietet. Deshalb macht es mich fuchsig, dass diese Frau die Ausdrucksweise der Kinderschänder übernimmt.
    Sie spricht – ungenau, passiv, abstrakt – von dem Bett, auf dem »Ehen vollzogen« worden seien, und nicht davon, dass Männer Kinder vergewaltigt haben, während die Porno-Ältesten der Sekte drum herum standen und mit den Händen ihren Ständer bedeckten.
    Beim Fernsehen würde ich es nie zu etwas bringen.
    Reporter lernen, Distanz zu wahren. Wir lernen zu warten und so lange sachlich und neutral zu formulieren, bis die jeweils zuständige Machtstruktur – seien es nun Porno-Onkel oder eine Regierung – tatsächlich eines Verbrechens überführt worden ist. Bis dahin sind wir vorsichtig und halten unsere Zunge im Zaum, um nicht den Vorwurf der Verleumdung zuriskieren, denn wir wissen nur zu gut, dass es uns als Nächste treffen kann, dass wir ausgeschaltet oder in irgendein Lager gesteckt werden können.
    Ruhelos und aufgebracht schlüpfe ich in meine Sandalen, setze mich ins Auto und fahre runter zum Deich, wo gerade die letzten Fußballspiele abgepfiffen werden. Die Dämmerung setzt ein, es wird dunkel. Die Männer gehen auseinander, jeder zu seinem Auto. Nach kurzem Verhandeln begleitet ein ziemlich gut ausgestatteter Salvadorianer mich zu einer der Betonkammern, die über den Mississippi hinausragen, und ist so freundlich, mich von hinten zu ficken, im Stehen.
    Um uns her tauchen Weiden ihre Zweige ins Wasser und schirmen uns gegen die Straße ab. Ich umklammere die blaue Metallreling und starre hinaus auf den Fluss. Wie Dinosaurier aus rotem Stahl gleiten riesige Frachtschiffe über die braune Wasserfläche.
    Ich behalte die Augen offen, selbst als ich komme.

9
    Am Montagmorgen betrete ich die Redaktion mit dem Plan, mir die Akte von Javante Hopkins noch einmal anzuschauen, dem Sexualstraftäter, den ich am Nachmittag interviewen will. Doch ich finde auf meinem Schreibtisch eine Nachricht von Claire, meiner Ressortleiterin. Sie habe Marci von einer Plantagenstory, die diese Woche noch kommen soll, abziehen müssen – ob ich das bitte, bitte übernehmen könne. Sie weiß, dass ich schnell bin.
    Ach, verdammter Mist, Claire! Plantagen? Wie viele Plantagenstorys muss dieses Blatt bringen? Auf den Plantagen ändert sich nie etwas, außer vielleicht den Eintrittspreisen. Sie sind Geschichte, erstarrt in einer anderen Zeit. Was gibt’s da zu berichten? Ich könnte einfach ein altes Stück aus dem Archiv holen und das Datum von heute draufklatschen, niemand würde es merken.
    Ich stehe auf und schaue mich um, doch von Claires blonder Mähne, der ewig wallenden weißen Tunika und dem Halbedelsteinklunker – komplett aus dem »Soft Surroundings«-Katalog – fehlt jede Spur.
    »Hast du

Weitere Kostenlose Bücher