Toedlicher Sumpf
Meine Aufgabe als Mutter ist es, sie zu beschützen. Ich möchte, dass sie glücklich sind, sich frei fühlen – und nicht mit der Vorstellung leben, dass es in der Stadt von Wölfen nur so wimmelt.«
»Obwohl es doch so ist?«
Sie nickt und trinkt einen Schluck Tee. »Obwohl es so ist.«
»Wann werden sie denn alt genug sein, um allein loszugehen?«
»Ich weiß nicht.« Sie sieht traurig aus. »Mit fünfzehn? Das ist doch furchtbar, oder? Vielleicht bin ich hyperprotektiv, ich weiß es nicht. Mit dreizehn? Mit zwölf? Wir werden es merken, wenn es so weit ist, nehme ich an.«
Auch ich trinke einen Schluck Tee. Nach einer kurzen Pause sage ich: »Ich würde gern noch zu einer anderen Fragekommen. Wie beurteilen Sie die Rechte der Sexualstraftäter selbst?«
»Ihre Rechte?« Ihr Ton wird scharf. »Welche Rechte?«
»Nun, zum Beispiel das auf Privatsphäre.«
»Auf Rechte haben sie verzichtet, als sie getan haben, was sie getan haben. Privatsphäre steht ihnen nicht mehr zu. Privatsphäre hat es ihnen ja überhaupt erst ermöglicht, Kinder zu belästigen. Sie sind krank und müssen unter Beobachtung stehen.«
»Aber nicht alle Sexualstraftäter belästigen Kinder.«
»Es ist mir egal, was sie getan haben.« Ihre Stimme wird immer schriller. »Wenn sie dafür ins Gefängnis gesteckt worden sind, kann es nichts Gutes gewesen sein.«
»In Ordnung. Ich will es Ihnen ein bisschen schwerer machen, Mrs. Bigelow. Es sind schon Leute wegen Vergewaltigung verurteilt worden, weil sie mit jemandem, der nur ein oder zwei Jahre jünger war als sie, einvernehmlichen Sex hatten.«
»Ja, sicher, das ist bedauerlich, aber in der Gesellschaft gelten nun einmal bestimmte Regeln. Wer sich an die Regeln hält, landet nicht im Gefängnis. Das ist gar nicht so kompliziert.« Aufgeregt klopft sie mit einem Finger auf den Rand ihres Glases. »Hören Sie, ich gehe nicht hin und schikaniere diese Männer. Weder brenne ich ihnen ein Kreuz in den Rasen, noch drohe ich ihnen oder verteile irgendwelche Flyer. Ich nutze lediglich die Informationen, die zur Verfügung stehen, für meine Zwecke.« Als sie sich zu mir herüberlehnt, treten die Sehnen an ihrem Hals hervor. »Es ist mein gutes Recht, das zu wissen. Wir Eltern haben das Recht, unsere Kinder zu beschützen.«
»Sie halten das Gesetz zur Registrierung also für eine gute Sache.«
»Absolut. Diese Art von Information hätte auch unseren Eltern schon zur Verfügung stehen sollen. Mir wäre viel ...« Sie fährt sich mit der Hand über die Augen und trinkt hastig einen Schluck Eistee.
»Mrs. Bigelow?«
»... erspart geblieben. Unnötiges Leid.« Jetzt lächelt sie wieder verbindlich. »Was möchten Sie noch wissen?«
»Moment.« Ich schaue in meine Notizen. »Also: Was machen Sie und Ihr Mann beruflich?«
»Mein Mann ist Chirurg am Ochsner Medical Center. Ich?« Mit einer Geste umschließt sie den Raum. »Sie sehen es. Vollzeitmutter. Ich bin gern zu Hause. Natürlich haben wir auch oft Gäste, dafür braucht man Zeit.«
»Das glaube ich. Gibt es sonst noch etwas, das Sie unseren Lesern vermitteln möchten?«
Eine ganze Weile starrt sie mich mit leerem Blick an. »Nein. Das war alles.«
»Sind Sie sicher, dass Sie mir nicht noch etwas erzählen wollen, Mrs. Bigelow?« Sie senkt den Blick, und wir sitzen einen Moment lang schweigend da. Gerade als ich meine Frage wiederholen will, beginnt sie zu sprechen.
»Sie dürften nie rauskommen«, sagt sie leise. »Sie sind Ungeheuer. Verrotten sollten sie da drin. Was sie tun, zerstört Leben – genauso wie Mord. Es zerstört Seelen. Sie dürften nie wieder rauskommen.«
11
Jede Epoche hat ihre eigene Spitzentechnologie. In den 1930er-Jahren haben Brieftauben Filmrollen in die Redaktion der Times-Picayune gebracht, damit die Berichterstattung so aktuell wie möglich ausfiel. Das hat sich besonders bei Footballspielen bewährt, denn die Tauben waren tausend Mal schneller, als der Reporter im dichten Verkehr nach dem Spiel hätte sein können.
Ich habe gestern Nachmittag – während ich in blitzverdächtigem Tempo nach Hause fuhr – mein Diktiergerät benutzt, um meine kleine Lobhudelei auf die Plantage Moss Manors zu formulieren und festzuhalten, solange ich die Details noch präsent hatte. Abends dann konnte ich dank der wundersamen Wireless-Technik auf dem Bett sitzen, das Ganze in meinen Laptop hacken und als E-Mail-Anhang an Claire schicken.
Wovor aber keine Technik einen bewahren kann, ist der Zorn einer verärgerten
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