Toedlicher Sumpf
gepflasterten Vorplatz, auf dem ein schwarzer Mercedes-Geländewagen steht, überquert. Die Außentreppe mit ihren nach unten hin breiter werdenden Stufen erinnert an Kaskaden sich ergießenden Wassers. Hier in der Gegend stehen viele Häuser dieser Art. Die Wohnräume befinden sich immer im Obergeschoss, was wohl Flutschäden vorbeugen soll. Ich klingele und warte. In einem der Fenster hängt ein blaues Obama-08-Poster. In einem Beet steckt diskret ein Schild mit dem Hinweis, dass das Anwesen überwacht wird.
Gwyneth Bigelow erscheint an der Tür. Sie ist sehr dünn und blond. Lächelnd streckt sie mir eine kühle Hand entgegen.
»Kommen Sie doch herein.«
Das Wohnzimmer ist teuer eingerichtet. An einer Wand hängt ein Rodrigue-Gemälde, einer von diesen blauen Hunden, nach denen sich eine Gruppe konservativer demokratischer Abgeordneter nennt, die Blue Dog Coalition. Und natürlich hat sie einen Kronleuchter. Von dem erzählt sie mir, er sei aus Murano-Glas und sie habe ihn von einer Venedig-Reise mitgebracht.
»Mal was anderes, wissen Sie?«
Ich nicke, als wüsste ich.
Sie bringt für jede von uns ein Glas Eistee. Obenauf schwimmen je eine dünne Limettenscheibe und ein frischer Minzestängel. Wir lassen uns in weichen, auf antik getrimmten Sesseln mit Blumendekor nieder, und ich stelle mein Diktiergerät auf den Glastisch zwischen uns. Es riecht intensiv nach eben gemähtem Gras, auf dem Kaminsims steht ein großer, frischer Blumenstrauß.
»Das ist ein guter Zeitpunkt für dieses Gespräch«, erklärt Gwyneth Bigelow, »die Mädchen sind noch in der Schule.« Sie schlägt die Beine übereinander und winkelt Arme und Hände graziös an.
»Erzählen Sie von den Mädchen.«
»Ella ist acht, Lynnie gerade mal sechs. Sie gehen in die Sacred-Heart-Schule ganz hier in der Nähe, aber ich bringe sie trotzdem hin und hole sie ab. Wenn sie zu Fuß gehen würden, hätte ich immer Angst.«
»Obwohl das doch eine nette Gegend ist.«
»Ja, eine wunderbare Gegend. Wir wohnen sehr gern hier, und ich bin viel draußen mit den beiden. Wir gehen oft in den Audubon Park.« Der Park direkt gegenüber der Tulane University ist wirklich schön. Weitläufig, grün. Eichhörnchen tummeln sich dort und auf dem See Enten. Von den Ästen der alten Eichen weht Spanisches Moos, für Radfahrer und Jogger sind eigene Wege angelegt. Als Studentin bin ich dort immer gelaufen und habe mich, solange es hell war und ich Leute um mich hatte, absolut sicher gefühlt. »Aber ich möchte nicht, dass die Mädchen allein unterwegs sind«, fährt Gwyneth Bigelow fort. »Genau aus dem Grund, aus dem Sie hier sind.«
»Verstehe. Was wissen Sie über die Registrierung von Sexualstraftätern?«
»Genug, um mir das Register einmal im Monat anzuschauen. Hier«, sie wendet sich ab und nimmt ein Blatt Papier von dem Beistelltisch zu ihrer anderen Seite. »Das wollte ich Ihnen zeigen.«
Damit reicht sie mir ein ausgedrucktes Satellitenfoto, eine Luftaufnahme der näheren Umgebung. Ein paar Häuser darauf sind mit roten Kreuzen markiert.
»Da gehe ich mit den Mädchen nie lang«, sagt sie. »Es soll erst gar keiner von diesen Männern auf die Idee kommen, sie ins Visier zu nehmen.«
»Schränkt das Ihren Bewegungsspielraum nicht ziemlich ein?«
Sie lacht. »Doch, natürlich! Aber genauso gut könnte man fragen, ob eine Klapperschlange den Bewegungsspielraum einschränkt. Sicher tut sie das. Man muss einen großen Bogen darum machen, wenn man heil davonkommen will.«
»Besprechen Sie diese Dinge mit Ihren Töchtern?«
»Sie wissen, dass sie nicht mit Fremden mitgehen sollen, dass niemand sie anfassen oder auch nur Dinge zu ihnen sagen darf, die ihnen unangenehm sind. Sie wissen, dass sie es uns sofort erzählen müssen, wenn etwas vorgefallen ist; dass sie davor keine Angst zu haben brauchen, selbst wenn jemand ihnen gedroht und gesagt hat, sie dürften mit keinem darüber sprechen.« Sie fährt sich durch das blonde Haar und lächelt mich an. »Außerdem schicken wir sie beide zum Fußballtraining und zum Karate – damit sie kräftig werden und ein gutes Körpergefühl entwickeln. Sie haben beide ein sehr gesundes Gespür für Grenzen.«
»Und dieses Bild, diese Karte? Sprechen Sie darüber auch mit den Kindern?«
»Nein. Ich begleite sie einfach überallhin und halte sie von diesen Straßen fern. Wenn sie alt genug sind, um allein loszugehen, werde ich sie sicher darauf hinweisen, aber zurzeit würde ich ihnen damit nur sinnlos Angst machen.
Weitere Kostenlose Bücher