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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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Hier ist es besser.« Wir setzen uns, und sie schaut sich das Diktiergerät an. Die effiziente kleine Maschine mit der schlichten silbernen Gestalt scheint ihr zu imponieren. »Wirst du mich in der Zeitung zitieren?«
    »Das hoffe ich. Es hängt davon ab, ob du etwas sagst, das für die Story wichtig ist.«
    Sie lacht. »Dann will ich mal sehen, dass ich all meine Wichtigkeit zusammennehme.«
    Das blinkende Gerät zeichnet alles auf: ihre Hoffnungen und Wünsche für ihre drei Kinder; ihre Resignation angesichts der Tatsache, dass es nun einmal Perverse gibt – so ist das Leben eben – ; ihre Entschlossenheit, ihre Kinder zu beschützen.Von dem Sexualstraftäterregister weiß sie ebenso wenig wie die anderen Mütter.
    Als wir fertig sind, bringt sie mich an die Tür.
    »Hast du noch mit irgendwem Kontakt?«
    »Nicht wirklich. Ich weiß nicht, Evie. Ich habe vieles hinter mir gelassen.« Sie ist nett, und es scheint, als hätte sie mich damals gemocht. Wir hätten Freundinnen bleiben können. Vielleicht gibt es auch noch andere, mit denen ich in Verbindung hätte bleiben können. Aber ich habe mir angewöhnt, grundsätzlich nicht zurückzuschauen.
    »Du bist also richtig raus aus all dem, was?«
    Das sagt sie leise, und es schwingt viel mit, das ich nicht entschlüsseln kann. Mit verschränkten Armen bleibt sie auf der Veranda stehen und schaut mir nach.
    Ich habe ein flaues Gefühl in der Magengegend, als ich weiterfahre. An der Kreuzung Alvar Street biege ich unvermittelt links ab und wende mich nach Norden. Der Nachmittagshimmel zieht sich mit tief hängenden grauen Wolken zu, und ich bin unterwegs zu der Stelle, an der früher die Desire Projects standen.
    Auf dem Weg komme ich am Musicians’ Village vorbei, dieser Reihe pastellbunter Häuser, die nach Katrina erträumt und dann von Habitat for Humanity, einer christlichen Non-Profit-Hilfsorganisation, gebaut worden sind. Einen Tag lang ist sogar Bush hier mit dem Hammer herumgelaufen. Das Musicians’ Village war die geniale Idee des Sängers Harry Connick jr. und des Saxofonisten Branford Marsalis; sie wollten die Musiker, die durch den Sturm ihre Bleibe verloren hatten, zurückholen. Aber jeder kann hier wohnen. Die Häuser sind unterschiedlich bunt gestrichen und stehen auf einer Art Stelzen mindestens einen halben Meter oberhalb des Hochwasserspiegels. Hier krabbeln noch keine schmuddeligen Kleinkinder durch die Vorgärten. Nirgends sitzt eine müde alte Frau auf der Veranda im Schaukelstuhl. Alle Regenbogenfarben sindvertreten; die Rasenflächen leuchten sattgrün, und ordentliche kleine Zäune grenzen die Grundstücke zur Alvar Street hin ab.
    Welche Leute auch immer eines Tages in diesen hübschen, sauberen, stabilen kleinen Häusern wohnen, sie werden trotz allem abends auf dem Weg nach Hause durch den Neunten Bezirk kommen.
    Immer weiter fahre ich nach Norden, bis ich schließlich am Ziel bin und den Fuß vom Gas nehme. Hier ist kein Mensch auf der Straße. Zu meiner Rechten ragen – heruntergekommen, verlassen – die Florida Projects auf. Die ehemals freundlich-hellen Häuser sind mit Brettern zugenagelt, aber sie stehen noch. Die Desire Projects gegenüber waren, wie in New Orleans die meisten Anlagen mit Sozialwohnungen, Klinkerbauten. Jetzt ist da, wo sie gestanden haben, zu meiner Linken, gar nichts mehr.
    Ich parke, streife den Schulterriemen meiner Handtasche über, in der so beruhigend die Waffe liegt, und steige aus. Es ist heiß und drückend, und so weit ich sehe, bin ich das einzige menschliche Wesen, das hier in den kahlen Fundamenten der Desire Projects herumsteigt. Das Zuhause meiner ersten achtzehn Jahre – eine Ödnis aus Zementplatten, die von wucherndem Unkrat gesprengt werden. Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, dass hier einmal 262 Häuser gestanden haben. Eine eigene Welt. Darvis ist erschossen worden, Mabel hat ein Bein an den Diabetes verloren, Angel wurde mit fünfunddreißig Jahren Großvater von Zwillingen. Meine Mutter erschuf in zwei Zimmern ein Kleinkuba, eine Insel der Liebe. Tante Helene ist eines Nachts eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.
    Durch dichte Büschel von Gras arbeite ich mich vorwärts, bis ich den Boden unseres Hauses gefunden habe. Es ist, als setzte ich einen Fuß auf den Mond. Unterhalb meines Brustkorbs, auf der Höhe des Solarplexus, breitet sich ein beunruhigendes Beben aus. Über fünf Jahre sind vergangen, seit ich das letzte Mal an diesem Fleck gestanden habe. Jetzt herrschthier

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