Tödlicher Vatertag
Spatenblatt hineingestochen, so wirkte sie auf uns. Kein Blumenschmuck, keine Kränze, keine Vase, umgekippte Grabsteine.
Während ich vor den »offenen« Gräbern stand, verschwand mein guter Eindruck von Kandersteg allmählich, denn ich merkte, daß die unheimliche Atmosphäre, die auf diesem Friedhof lauerte, sich vorbereitete, auch mich zu übernehmen. Sie kroch gewissermaßen in mich hinein, und ich spürte so etwas wie eine Beklemmung, die, ähnlich einem Ring, meinen Brustkasten umspannte.
»Ich habe es gewußt!« durchbrach die spröde klingende Stimme der Evelyn Binussek die Stille. »Ich habe es genau gewußt. Dieses Tonband war kein Scherz. Das ist die grausame Wahrheit gewesen. Sie haben ihr verdammtes Versprechen gehalten und sind zurückgekommen.«
»Aber wo sind sie jetzt?« Brigitte Buchwald hatte die entscheidende Frage gestellt. Ja, wo waren sie jetzt?
Daran dachte auch ich, während über meinen Rücken ein Schauer rann. Es sah so aus, als hätten sie die Gräber mitten in der Nacht verlassen, und die Dunkelheit bot tausend Verstecke, um sich vor den Augen eines Suchenden zu verbergen.
Ich antwortete nicht, dafür glitt mein Blick in die Runde. Ich sah die steilen Berghänge um Kandersteg herum, suchte sie ab. Der Schnee lag stumm, er gab keine Antwort und wirkte wie eine weißgraue, schräg liegende Mauer auf mich.
Nicht eine Bewegung erkannte ich dort oben. Da konnte mir auch eine dunkle Brille nicht helfen, was einen Verdacht in mir bestätigte. Zudem dachte ich daran, daß Zombies auf Menschen fixiert waren und stets danach trachteten, sich in deren Nähe aufzuhalten. Mit anderen Worten hieß das: Sie mußten sich irgendwo in Kandersteg verborgen halten und auf ihre Stunde warten.
Wann dies sein würde, konnte ich nicht sagen, da die lebenden Toten sich in der Nacht ebenso sicher wie bei Tageslicht bewegten. Ihnen machte der Sonnenschein nichts aus, im Gegensatz zu den blutsaugenden Vampiren. Von der Straße her hörten wir das Hupen eines Autos. Dieses Geräusch schreckte uns aus den Gedanken. Evelyn Binussek drehte mir ihr blasses Gesicht zu, in dem die Haut so unnatürlich dünn wirkte.
»Was sollen wir denn jetzt machen, Mr. Sinclair? Sagen Sie uns, wie geht es weiter?«
»Zwei gute Fragen«, erwiderte ich. »Leider kann ich Ihnen darauf keine genaue Antwort geben. Wir alle müssen uns bewußt sein, daß wir in einer großen Gefahr schweben.«
»Unsere Männer werden versuchen, uns zu töten, nicht wahr?« hauchte Silvie Woeber.
»Ja, davon gehe ich aus. Es hört sich schlimm an, ich weiß, aber es ist leider so.«
»Und wann könnte das sein?«
Ich hob die Schultern. »Eigentlich jederzeit.«
»Haben Sie denn keinen Vorschlag?« erkundigte sich Brigitte Buchwald. Sie schaute mich traurig an.
»Nein, keinen sicheren.«
»Nur unsichere?« Evelyn fing an zu lachen. Es klang sehr hart und unecht.
»Leider kenne ich keine Patentlösungen, Mrs. Binussek. Ich habe mir natürlich Gedanken gemacht und würde vorschlagen, daß Sie drei sich im Hotel aufhalten.«
»Sind wir denn da sicher?« hakte Silvie Woeber sofort nach.
»Nein, das nicht, aber das Hotel ist überschaubar. Dort kennen Sie sich aus. Sie sind, wenn ich mal so sagen darf, nicht fremd. Falls Sie verstehen, was ich meine.«
Die Frauen schauten einander an. »Da haben Sie recht«, meinte Brigitte Buchwald. »Was haltet ihr davon?«
Evelyn und Silvie waren einverstanden. Sie dokumentierten es durch ihr Nicken.
Ich warf noch einen letzten Blick auf die drei Gräber. Es waren nicht die ersten, die ich in einem derartigen Zustand fand. Schon oft hatte ich es mit Zombies zu tun gehabt. Viel zu oft, meinem Geschmack nach. Vor einem Jahr waren die Männer gestorben. An einem Vatertag, den sie hatten genießen wollen.
Nun war wieder Vatertag, und sie würden zurückkehren, wie es Evelyn Binussek versprochen worden war. Stellt sich natürlich die Frage, wie die drei Frauen reagieren, wenn plötzlich ihre verstorbenen Männer vor ihnen stehen!
Auf jeden Fall würde es bei ihnen zu einer Panik kommen. Vielleicht gab es auch eine Möglichkeit, ihnen diesen Anblick zu ersparen. Aber nur, wenn es mir gelang, die drei Zombies vorher zu stellen.
Noch ahnte kaum jemand im Dorf etwas von diesem Grauen. Wie Herr Contini reagieren würde, wußte ich nicht, hoffte allerdings, daß er das Geschehen für sich behielt.
Ich schärfte den drei Frauen noch einmal ein, ihm das zu bestellen, und sie versprachen, daran zu denken.
Bis vor
Weitere Kostenlose Bücher