Toedliches Geheimnis
schlafen.
Es ist fast Mitternacht. Ich liege wach im Bett und gebe mir alle Mühe, die Ereignisse des Abends beiseitezuschieben und mich etwas auszuruhen.
Aber es funktioniert nicht.
Nachdem Ben gegangen war, hat meine Mutter sich mit mir hingesetzt, um zu reden. Und während ich dachte, sie würde Bens Besuch und die komische Art, wie er ihr die Hand gegeben hatte, zumindest erwähnen, tauchte sein Name nicht ein einziges Mal auf.
»Wo wart ihr heute Abend, Dad und du?«, fragte ich, nachdem mir auffiel, dass sie mich nicht einmal anschauen konnte. Ihre Haut war ganz fleckig, und ihre sonst eher wilden Locken waren zu einem festen Knoten zurückgebunden.
Nach mehreren Schlucken Tee und unzähligen Yoga-Atemzügen konnte sie sich schließlich öffnen und mir erzählen, dass sie und Dad heute ins Krankenhaus gefahren waren, um Tante Alexia zu besuchen. Aber als sie da waren, hat meine Mutter es nicht über sich
gebracht, einen Schritt zu ihrer Schwester hinein zu tun.
»Ich konnte ihr nicht gegenübertreten«, sagte sie. »Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen.«
Ich rutschte näher zu ihr, um ihr den Rücken tätscheln zu können. »Warum ist sie überhaupt dort?«
Dann erzählte mir meine Mutter, wobei sie sich ein Kissen fest vor dem Bauch drückte, dass Tante Alexia wieder einmal (zum vierten Mal, um genau zu sein) versucht hatte, sich umzubringen.
»Und wird sie wieder gesund?«
Anstelle einer Antwort fing Mom nur an zu weinen, sodass Dad sie aufhob und in ihr Schlafzimmer trug, während ich in meines ging.
Ich rolle mich im Bett herum auf der Suche nach meinem Plüsch-Eisbär, aber der ist nicht unter meiner Decke vergraben und liegt auch nicht irgendwo zwischen meinen Kissen. Ich seufze und schaue aus dem Fenster.
Der Mond wirkt angeschwollen und unruhig heute Nacht - genau wie ich. Mein Körper schmerzt, und ich kann den Sog in mir einfach nicht ersticken. Ich ziehe mir die Decke bis zum Kinn, nur um dann festzustellen, dass mich das erdrückt. Und so setze ich mich im Bett auf. Ich wünschte, ich wäre draußen, um die samtene Nachtluft auf meiner Haut zu spüren und mich von der Dunkelheit ganz und gar verschlingen zu lassen.
Ich schaue zu meiner Zimmertür. Meine Mutter schluchzt noch immer - ich kann sie in ihrem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Flures hören. Ich kann
auch meinen Dad hören. Er sagt ihr, dass alles gut wird. Ich frage mich, ob er das wirklich glaubt.
Der Mond beleuchtet einen Teil meines Bettes und schneidet es in zwei Hälften. Langsam stehe ich auf und gehe zum Fenster. Ich ziehe das Fliegengitter in die Höhe, und ein salziger Luftzug weht herein. Er riecht nach Meer und erinnert mich an Ben.
Ich greife nach meinem Handy und fange an, seine Nummer zu wählen, aber ich habe noch immer kein Netz, und so nehme ich, ohne weiter nachzudenken, meine Jacke und krieche nach draußen in der Hoffnung, dass das einen Unterschied macht. Endlich geht der Anruf durch.
»Camelia?« Er antwortet nach dem ersten Klingeln.
Ich stehe vor unserem Haus, drücke mir das Handy gegen das Ohr und weiß nicht mal, was ich sagen soll.
»Wo bist du?«, fragt er und will noch nicht einmal eine Erklärung für meinen Anruf hören.
»Draußen«, erwidere ich und versuche, geheimnisvoll zu klingen. »Und du?«
»Auch«, flüstert er.
»Echt?«
»Ich konnte nicht schlafen. Ich brauchte frische Luft.«
Mein Puls beschleunigt sich und mein Blut rast. Es fühlt sich an, als wäre ein Feuer in mir. Ich schaue zurück zu meinem Zimmerfenster und mag noch nicht wieder hineingehen. »Kommst du und holst mich?«, frage ich.
»Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.«
»Wirklich?«
»Wirklich«, sagt er, »weil ich nämlich schon unterwegs bin.«
Er legt auf. Ein paar Minuten später höre ich das Geräusch seines Motorrades noch ein paar Straßen entfernt. Es kommt näher, wird lauter und erfüllt meinen Kopf mit einem betäubenden Summen.
Ich gehe zum Straßenrand und kann ihn nun endlich sehen. Er fährt vor, reicht mir seinen Helm und lässt mich aufsteigen.
44
Ich sage Ben , er soll uns zu Earth & Fire fahren. Die Öffnungszeiten sind vorbei, aber ich habe ja den Schlüssel. Er parkt das Motorrad hinter dem Haus und ich führe ihn durch den Hintereingang hinein.
»Bist du sicher, dass das okay ist?«, fragt er, weil er meine steigende Nervosität spürt.
Ich nicke und denke daran, dass Spencer gesagt hat, ich könne jederzeit hierherkommen, dass es keine große Sache ist
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