Toedliches Geheimnis
Gebäck und Orangensaft auf. Er hat ein richtiges Buffet aufgebaut mitsamt gezuckerten Erdbeeren, glutenhaltigen Waffeln und einem gekauften Mokkakuchen, auf dessen Zutatenliste teilweise gehärtete Fette als eine der Hauptzutaten stehen. Es ist offensichtlich sein Versuch, die Abwesenheit meiner Mutter zu kompensieren. Sie ist noch im Bett. Als ich vorhin an ihrem Zimmer vorbeigekommen
bin, hatte sie die Bettdecke bis über die Schultern hochgezogen und wollte nicht sprechen.
»Sie braucht jetzt einfach ein bisschen Freiraum«, sagt mein Dad, als ich nach ihr frage.
»Was ist mit der Arbeit?«
Er setzt sich mir gegenüber an die Kücheninsel und trinkt einen Schluck von seinem Kaffee. »Jemand übernimmt erst mal für die nächsten Tage ihre Kurse.«
»Für die nächsten Tage oder für die nächsten Wochen?«
Er schaut mich scharf an, aber anstelle einer Antwort überspielt er das Thema, indem er mich nach dem Cafeteria-Essen in der Schule fragt und mir dann zusätzlich fünf Dollar fürs Mittagessen gibt.
»Und was werden wir tun?«, frage ich.
»Wegen Mom?«, fragt er zurück, als wäre das nicht sonnenklar. »Wir geben ihr einfach ein bisschen Freiraum.«
»Aber was ist, wenn sie gar keinen Freiraum braucht?«
Dad räuspert sich. »Ich weiß, dass du es gut meinst, aber das ist wirklich eine Angelegenheit zwischen deiner Mutter und ihrer Schwester.«
»Tante Alexia«, korrigiere ich ihn, obwohl es komisch ist, sie so zu nennen. Ich habe sie das letzte Mal gesehen, als ich noch in der Vorschule war - jedenfalls wurde es mir so erzählt.
Dad stellt seinen Becher mit einem lauten Geräusch auf die Marmorarbeitsplatte, als wolle er damit seinen Standpunkt unterstreichen. »Du weißt wirklich gar nichts darüber.«
»Nun ja, ich weiß, dass nicht die Antwort sein kann,
sich selbst die Schuld an etwas zu geben, was vor vierzig Jahren passiert ist. Ich meine, glaubst du wirklich, es ist Moms Schuld, dass Grandma Alexia so gehasst hat?«
»Dafür gibt sich deine Mutter ja gar nicht die Schuld.«
»Ich weiß«, sage ich, weil ich ziemlich sicher bin, dass es mehr damit zu tun hat, dass meine Mutter, als sie größer wurde, nichts unternommen hat, um ihre kleine Schwester zu schützen. Meiner Mom zufolge hat Grandma gegenüber Alexia immer nur blanken Hass gezeigt, weil sie Alexias Geburt als den Grund dafür ansah, dass ihr Mann sie verlassen hat. Gleichzeitig wurde meine Mutter umso mehr umsorgt und verwöhnt, oft nur, damit Alexia sich noch ungeliebter fühlte.
»Es ist doch nicht Moms Schuld, dass Tante Alexia all diese Probleme hat.«
»Pst...« Dad deutet in Richtung Flur. Ihre Zimmertür steht einen Spaltbreit offen. »Ich weiß ehrlich nicht, was die Lösung ist«, sagt er mit gedämpfter Stimme.
»Ich auch nicht, aber ich weiß, dass es Probleme in der Gegenwart gibt, wenn man immer nur in der Vergangenheit lebt. Mom muss ihre Vergangenheit bewältigen und aufhören, ein Leben voller Schuldgefühle zu leben.«
Dad lächelt und rührt in seinem Kaffee, auch wenn der schwarz ist. »Du hörst dich an, als wüsstest du, worüber du redest.«
»Das weiß ich auch«, sage ich und denke dabei an Ben.
»Und wie sollen wir ihr bei der Bewältigung helfen?«
»Zuerst mal muss sie mit ihrer Schwester reden.«
»Und zweitens muss ich mir mehr Zeit nehmen, damit wir beide reden können.« Er stößt mit seinem Becher an
mein Saftglas. »Tut mir leid, dass ich in der letzten Zeit so beschäftigt war.«
»Schon okay«, sage ich und bin fast versucht, ihm alles zu erzählen, was in der letzten Zeit passiert ist.
Stattdessen nehmen wir uns vor, beim Abendessen zu reden - bei unserer längst überfälligen Tour zu Taco Bell mit Pommes und Tortillas -, und dann mache ich mich auf den Weg in die Schule.
Es ist kurz vor acht Uhr und auf den Fluren in der Schule ist schon viel los. Ich gehe an mehreren Gruppen vorbei, die ganz ins Gespräch vertieft scheinen, und frage mich, worüber sie wohl reden und warum sie mich so anstarren.
Ich sehe Matt an seinem Schließfach stehen. Er winkt mich zu sich heran.
»Was ist denn los?«, frage ich und entdecke Davis Miller und seine Band-Kumpels. Sie zeigen in meine Richtung.
»Hast du’s noch nicht gehört?« Matt knallt seine Schließfachtür zu.
Ich schüttele den Kopf und bemerke einige Mädchen, die alle verheult in der Ecke herumstehen. Señora Lynch versucht gerade, sie zu trösten.
»Debbie Marcus liegt im Koma«, sagt er. »Es ist gestern
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