Tödliches Paradies
seinen Atem. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Langsam bog sie den Oberkörper zurück und brachte dabei noch immer ein Lächeln zustande; aber dieses Lächeln gehörte nicht ihr, es war eine Maske, etwas Fremdes, das schmerzte.
»Ich werd' es dir erzählen. Du wirst mir nicht glauben, Melissa.«
Sie griff nach der Karaffe mit Orangensaft auf dem Tisch. So konnte sie sich abwenden, den Stuhl ein wenig zur Seite rücken, während sie vorgab, sich auf das Eingießen zu konzentrieren.
Nein, er bemerkte nicht, wie ihr zumute war. Wann hatte er das je? Er war bei seiner Geschichte: »Sieh mal, Melissa, jede Woche fahre ich hinüber ins Formentor. Manchmal ein-, oft auch zweimal. Dort nehme ich dann meinen Tee, sehe mich ein wenig im Park um, beschäftige mich mit den Pflanzen. Es ist der einzige Ausflug, den ich mir hier auf der Insel leiste. Und ich unternehme ihn nicht, weil ich Menschen treffen will, das Neureichen-Gesindel und die Millionärs-Rentner dort interessieren mich einen Dreck. Aber der Park … Ich liebe nun einmal Pflanzen. Ich kenne den Gärtner Antonio. Das ist ein Sukkulenten-Fachmann und Sukkulenten sind nun mal meine Spezialität. Wir tauschen Stecklinge aus und unterhalten uns ein wenig. Und so war es auch dieses Mal wieder …«
»Du warst also drüben im Park vom Formentor, als wir ankamen?«
Sicher, es war unglaublich! Er hatte ja recht. Unglaublich – und unwichtig. Erschreckend aber war, wie er die Bedeutung dieses Zufalls übertrieb, ihn ins Absurde, ja, ins Groteske verzerrte. »Und wo warst du?« Sie sagte es nur, um überhaupt etwas zu sagen. Ihre Stimme war belegt, sie hatte Mühe mit den Worten. »Ich … ich habe dich nirgends gesehen.«
»Ich saß im Wagen.« Sein Lächeln wurde schief: »Du hattest es ja so verdammt eilig, hinunter an den Strand zu rennen, nicht wahr? Ich saß also im Wagen. Den hatte ich hinter dem Gärtnerhaus geparkt.«
Sie stand nun auf, ging ihm vollends aus der Nähe. Als sie über die Terrasse schritt, spürte sie die Wärme der Tonkacheln unter den bloßen Füßen. Sie zündete sich eine Zigarette an, legte die Hände auf den Sandsteinfries der Balustrade, die die Terrasse einfaßte. Drüben flog ein Schwarm Möwen. Eine löste sich jetzt, kam im Tiefflug auf der Suche nach irgend etwas Freßbarem über das Dach gestrichen und schwang sich zurück in die Weite.
»Du liefst über den Strand, dein Haar wehte, es leuchtete buchstäblich, Melissa. Beeindruckend war das, wunderschön, wie einst … Ja, ich sah dich. Ich sah ein Wunder. Meine Melissa, da war sie wieder!«
»Da war auch mein Mann.«
»Schön. Der interessierte mich nicht.« Die Stimme an ihrer Seite wurde kühl und verlor jede Emotion: »Wie sollte er? Du warst ja wieder da. Das allein zählte. Ein Wunsch, der Realität wurde. Ein Wunsch, der mich lange, viel zu lange beschäftigt hatte, weißt du, so stark beschäftigt hatte übrigens, daß man sagen konnte, daß ich ein Recht auf diese Verwirklichung besaß. Du bist mir manches schuldig, Melissa. Ich meine, nach allem, was geschah …«
Sie blickte über den Tisch und die Terrassenbrüstung. Sie vermied seinen Blick. Sie versuchte sogar die Stimme aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen. Sie verfolgte den Flug der Möwe, die einen Kreis über Fischers Besitz zog. Das Grundstück war von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben. Auf der anderen Seite der Mauer, die das Tal durchschnitt, sah man einen runden Platz. Er war wohl angelegt worden, um irgendwelchen Lieferanten oder Besuchern die Gelegenheit zu geben, ihre Fahrzeuge zu wenden, ohne die große Stahltüre passieren zu müssen, die Son Vent von der Außenwelt absperrte.
»Vielleicht sollte man nicht sagen schuldig. Schuld ist auch ein Wort, das man besser aus dem Vokabular streicht, aber …«
Den Rest verstand sie nicht. Fischers Worte gingen unter in dem heulenden Gebell, das die Hunde anstimmten. Wachhunde. Schwarze Neufundländer. Sie hatte zuvor beobachtet, wie sie gegen die Stahlmaschen des Zwingers sprangen, der an der Rückseite der Garage angebaut war. Sie wurden nachts freigelassen, hatte Fischer gesagt. »Für den Fall der Fälle, mein Herz. Einbrecher auf Son Vent, keine leichte Rolle. Ich möchte sie nicht spielen …«
Warum machten die Köter einen solchen Wahnsinnskrach?
Wieder blickte sie hinüber zum Garagenanbau und von dort auf den Platz vor dem Tor.
Ein Wagen! Ein kleiner, roter Seat, wie die Touristen ihn benutzen. Sie kniff die Augen zusammen,
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