Toedliches Verlangen
Liste. Bastian knirschte mit den Zähnen. Er hatte ihr gerade eine große Zielscheibe auf den Rücken gemalt. Gut, das war nicht das Ende der Welt. Schließlich würde sie mit ihm in den Black Diamond zurückkehren. Ihr Hauptquartier war jetzt ihr Zuhause.
»Brauchst du meine Hilfe, um sie zu finden?«
Bastian schüttelte den Kopf. Er würde sie alleine aufspüren. Sie hatte ihn aus dem Meridian trinken lassen. Ihre Energie war einzigartig, und jetzt war er in der Lage, sie überall zu finden. »Flieg nach Hause. Lass das nähen.«
Mit einem Murmeln entfaltete Rikar seine Flügel und erhob sich in den Himmel. Bastian folgte, die winzigen Sterne hoch über ihm, während er zusah, wie sein Freund nach Norden abschwenkte und in Richtung des Quartiers flog. Er wandte sich nach Osten, Myst zog ihn an wie Wasser einen Verdurstenden. Er musste sie zurückholen. Er war verantwortlich für sie … sie gehörte jetzt zu ihm. Je eher er sie erreichte, desto sicherer würde sie sein.
Mit einem schreienden Baby auf dem Arm Auto zu fahren war schwieriger, als mit entsicherten Handgranaten zu jonglieren. Aber Myst schaffte es irgendwie. Auch wenn ihr die Arme schmerzten, einer vom Halten des Säuglings, der andere, weil sie das Lenkrad so fest gepackt hielt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Das Scheinwerferlicht ihres Wagens glänzte auf dem nachtfeuchten Asphalt, reichte aber nicht weit genug in die Dunkelheit, um sie viel erkennen zu lassen. Trotzdem raste sie weiter, das Gaspedal bis zum Boden durchgedrückt, ihre halsbrecherische Geschwindigkeit war jenseits jedes Limits.
Ihre ganze Fahrt war ein einziger Gesetzesbruch. Und wo zum Teufel war eigentlich die Polizei, wenn man sie mal brauchte? Auf jeden Fall nicht irgendwo in der Nähe der Route 18. Diese nutzlosen Wichser.
Myst schluckte ein weiteres Schluchzen hinunter und zwang sich, Luft zu holen. Jetzt auch noch wegen Sauerstoffmangels das Bewusstsein zu verlieren, war das Letzte, was sie brauchte. Oder den Wagen gegen eine hundert Jahre alte Kiefer zu setzen. Es gab natürlich keine Garantie, aber sie war ziemlich sicher, der Baum würde gewinnen.
Dabei hatte sie ohnehin schon verloren.
Bastian würde sie nicht gehen lassen … jetzt nicht mehr. Nicht, nachdem sie gesehen hatte, was sie gesehen hatte. Dessen war sich Myst so sicher, dass es ihr Angst machte.
Sie würde verschwinden müssen. Ihr eigenes Zeugenschutzprogramm ins Leben rufen und untertauchen. Tania würde ausrasten.
Nicht, dass sie es ihr erzählen würde. Nie im Leben. Auf gar keinen Fall. Je weniger Tania wusste, desto sicherer wäre ihre beste Freundin. Aber, verdammt. Sie wollte nicht ohne Erklärung einfach abhauen. So wie sie Tania kannte, würde sie sich Gott weiß was zusammenreimen – als wäre die Wahrheit nicht verrückt genug – und Carolines schreck lichen Exfreund beschuldigen, sie umgebracht und unter dem baufälligen Schuppen im Hinterhof verscharrt zu haben.
Myst konnte sie vor sich sehen: Einen gelben Schutzhelm auf dem Kopf, die Bagger in Reih und Glied bei der Arbeit, Planierraupen machten das Umland platt, während Tania über die Suche nach ihrer Leiche wachte.
Himmel – mit ihr stimmte wirklich etwas nicht. Fast hätte sie über ihre eigene Vorstellung gelacht. Irgendwie krank.
»Okay, mein Kleiner. Es ist alles in Ordnung. Wir sind in Sicherheit.« Den Blick fest auf die Straße gerichtet, wiegte sie unermüdlich das Baby sanft hin und her. »Bitte hör auf zu weinen, mein Engel. Bitte hör auf. Alles wird gut.«
Sie sprach mit leiser Stimme, beruhigend, betete, dass es auf ihren Tonfall reagieren würde. Der sanfte Klang war das genaue Gegenteil ihrer Gefühle. Wenn sie gezwungen wäre, dem Ganzen einen Namen zu geben, hätte sie sich für Chaos hoch zwei entschieden. Die zunehmende Panik potenziert mit aussichtsloser Verzweiflung. Und das Weinen machte es auch nicht gerade besser.
»Bitte, mein kleiner Engel … beruhige dich doch. Bitte!« Mit dem Betteln kamen die Tränen. Myst begann gegen sie anzusingen, jeder Ton des Wiegenlieds klang erstickt, ihr Schluchzen verschluckte jedes zweite Wort. Aber er hielt inne, das kleine Gesicht rot geweint. Sie schob ihn in ihrem Arm zurecht, klopfte ihm auf den Po und begann noch einmal mit dem Refrain von »Rock-a-bye Baby«. Die neue Lage ver wandelte sein herzzerreißendes Weinen in ein leises Wim mern. »So ist’s gut. Du bist in Sicherheit. Es geht uns gut.«
Das schien er zu verstehen – Gott sei Dank. Sie
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