Toedliches Verlangen
Wasserdrachen, aber die hielt Rikar für einen Mythos. Er hatte noch nie einen von ihnen gesehen, geschweige denn mit einem gesprochen.
Rikar drehte ab und flog über die Mitte des Hafenbeckens. Wellen peitschten das Brackwasser, die Gischt spritzte zehn Meter hoch. Der feine Nebel leckte über seinen Bauch, bildete Tropfen an seinen Schuppen, die wie Regen hinunterfielen.
»Bastian!«
»Unten.«
Wick? Herr im Himmel. »Wo seid ihr?«
»Kann ihn nicht mehr … lange halten. Die Strömung … ist zu stark« , keuchte Wick. Seine Stimme klang erschöpft, hatte nichts mehr von ihrem üblichen harten Ton.
»Halt durch, Kumpel.« Rikar schwenkte den Kopf von rechts nach links, musterte die schwarzen Wellen. Sekunden vergingen, sein innerer Alarm schrillte immer lauter. Das Wasser war zu dunkel, verbarg seine Freunde unter unruhigen Wellen und weißen Schaumkronen. Er konnte sie nicht finden, nicht in dieser Dunkelheit. Er brauchte ein Signal, an dem er sich orientieren konnte. »Wick, verdammt. Sprich mit mir.«
Stille antwortete ihm, versetzte Rikar in Panik. »Wick?«
Nichts. Kein schweres Atmen, kein qualvolles Keuchen oder …
Ein gelber Lichtblitz. Rikar riss den Kopf nach links. Wie ein Morsecode fand das blinkende Licht einen Rhythmus und …
Wenn Rikar näher am Wasser gebaut gewesen wäre, hätte er vor Erleichterung geweint. Gott sei Dank für Wick, diesen abgebrühten, cleveren Bastard. Der Krieger blinzelte, setzte seinen goldenen Blick als Wegweiser ein.
Rikar schwenkte herum, schoss nach unten auf sie zu. Er hielt sich tief, nur wenige Meter über den weißen Schaumkronen. Dann entdeckte er sie. Wick wurde von den Wellen hin und her geschleudert, kämpfte darum, mit Bastian in den Armen über Wasser zu bleiben. Ohne abzubremsen, wölbte Rikar seine Flügel und spreizte die Klauen. Er hatte nur einen Versuch. Wenn er sie verfehlte, könnte Wick untergehen und nicht wieder auftauchen.
Als die nächste Welle die beiden anhob, schlug er zu. Erfolgreich. Mit einem Knurren stieg er wieder auf und zog sie aus den eisigen Fluten.
Er hörte Wicks schmerzerfülltes Keuchen, aber er wurde nicht langsamer, während er im Höllentempo Richtung Hauptquartier flog. Beide Männer brauchten Hilfe, aber Bastian? Die Lebenskraft seines besten Freundes war erschreckend schwach. Er brauchte dringend eine Energie-Infusion. Wenn er sie nicht bald bekam, würde er nicht überleben.
Rikar flog mit schnellen, festen Flügelschlägen und gewann an Höhe. Unter ihm lag die Stadt, über ihm türmten sich die Sturmwolken. Als er die ersten Regentropfen spürte, begann er zu beten. Dass der Wind ihn nach Osten, Richtung Black Diamond tragen würde. Dass die Blitze sie verfehlten. Und dass Myst Bastians Gier nach Energie überleben würde, wenn Rikar ihr seinen Freund in die Arme legte.
Himmel, sein Wunschzettel war lang. Und wenn ein Mann sich zu viel wünschte, ging immer irgendetwas schief.
Drei Tage. Ganze zweiundsiebzig Stunden Bastian und nichts als Bastian, so wahr ihr Gott helfe. Hatte sie sich darauf wirklich eingelassen?
Ja.
Das Wort zog sich durch ihre Gedanken, wand sich wie eine langschwänzige Schlange. Als ihre Giftzähne zuschlugen, massierte Myst sich mit kleinen Kreisen die Schläfen. Sie verdiente eine Auszeichnung als Idiotin des Jahres … und einen Orden mit der Aufschrift: Für die Überwindung der Grenzen aller Dummheit.
Okay, vielleicht war sie zu hart zu sich. Er hatte sie schließlich in die Enge getrieben. Bastian und seine Crew hatten sie mit dem Rücken zur Wand erwischt, aber trotzdem …
Babyname hin oder her, sie hätte an ihrem Entschluss festhalten und verlangen sollen, dass er sie nach Hause brachte. Aber, o nein … was hatte sie stattdessen getan? V ersprochen, nicht zu fliehen. Hatte einen Pakt mit dem Ke rl geschlossen, der sie nicht nur gekidnappt, sondern sie auch noch in das geheime Versteck einer militärischen Drachen-Schrägstrich-Menschen-Spezialeinheit verschleppt hatte.
Oder wie auch immer dieser Trupp sich nannte. Nightfurys oder so ähnlich.
Aber das war nur die eine Hälfte des Problems.
Das wirklich Schlimme – das, was sie an sich selbst verzweifeln ließ – war der Selbstbetrug. Der Verrat an allen Fronten: moralisch, intellektuell und emotional. Und obwohl sie versuchte, es zu ignorieren, wollte Myst niemanden belügen, schon gar nicht sich selbst.
Was sie zu einem irrsinnigen Eingeständnis zwang.
Sie bereute es nur zur Hälfte, dass Bastian sie entführt
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