Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
zum geschlossenen Fenster der Villa gerichtet. »Wenn man also Veränderungen in der Ehe der Lius ausschließen konnte, so ergab sich daraus eine weitere Konsequenz: Mi würde auf ewig die kleine Sekretärin bleiben.«
»Das habe ich mir nie überlegt, Chef. Aber ein Mädchen wie Mi muss nicht unbedingt darauf hoffen, Nachfolgerin der Ehefrau zu werden. Solange Liu sie gut versorgte, hat ihr das vielleicht genügt. Sie ist noch jung und hätte auf diese Weise ein paar Jahre lang gutes Geld zurücklegen können, um dann später anderswo und mit jemand anderem ein neues Leben zu beginnen.«
»Schon möglich. Aber da sind noch ein paar andere Faktoren zu berücksichtigen. Zum einen die Tatsache, dass ihre Stellung nicht mehr gewährleistet sein würde, sobald Lius Sohn in die Firma einträte …«
»Sein Sohn in der Firma? Stimmt, er hat letzten Sommer ein Praktikum dort gemacht.«
»Liu hatte alles genau geplant. Auf lange Sicht wollte er die Firmenleitung an seinen Sohn übergeben, und was das für Mi bedeutet hätte, können Sie sich denken. Und auch der Börsengang mit Liu an der Spitze hätte sich auf ihren Status ausgewirkt, allerdings indirekt, wegen ihrer Beziehung zu Fu. Ihre Frage nach den Profiteuren des Börsengangs hat mich auf diese Idee gebracht.«
»Jetzt bin ich aber völlig baff«, bekannte Huang. »Was hat das mit Fu zu tun?«
»Nun, Sie hatten sich seinerzeit auf die Rivalen konzentriert, die von Lius Tod profitieren könnten. Ich habe ähnliche Überlegungen angestellt, nur dass ich mich dabei auf Personen innerhalb des Betriebs beschränkte. Normalerweise erhält der Firmenleiter das größte Aktienpaket, aber auch die anderen leitenden Angestellten profitieren von einem solchen Schritt finanziell ganz enorm. Doch dann gab es da den Umstrukturierungsplan. Im Namen der Umstrukturierung konnte Liu beliebig personelle Veränderungen vornehmen. Wen die Kündigung traf, der war Verlierer auf der ganzen Linie; er hatte weder einen Job, noch bekam er Aktien.«
»Allmählich begreife ich, Chef.«
»Ich hätte es eigentlich schon viel früher sehen müssen, habe aber nicht darauf geachtet, bis mir eine Unstimmigkeit in Mis Datumsangabe auffiel. Und ihre falsche Aussage war durch Fu bestätigt worden. Es ist ja durchaus möglich, dass einen das Gedächtnis mal im Stich lässt, aber zwei machen denselben Fehler wohl kaum direkt hintereinander. Zudem hat meine Quelle bezweifelt, dass Jiang in der Firma war, zumindest im März.«
»Dann haben also Mi und Fu in der entscheidenden Aussage gegen Jiang gelogen!«
»Genau. Und sie haben sich ja zugleich gegenseitig ein Alibi für die Mordnacht gegeben. Erst da haben alle Puzzleteile ihren Platz gefunden: das Alibi, die Falschaussage und natürlich Fus Versuch, seine Beziehung in Shanghai geheimzuhalten. Dafür hatte er gute Gründe.«
»Allerdings, das ist wie in den Geschichten, die Sie übersetzt haben. Alle Hinweise sind da, der Meisterdetektiv muss sie nur entdecken«, sagte Huang und rieb sich voll Tatendrang die Hände. »Worauf warten wir, Chef? Verhaften wir sie. Eine Frau wie sie ist leicht zu brechen.«
»Warten wir lieber noch ein bisschen. Kein Grund zur Eile. Wir machen es wie in dem Sprichwort, wir treiben die Schlange heraus, indem wir auf den Busch klopfen.«
In dem Moment klingelte Chens Handy. Er klappte es auf und lauschte lange und konzentriert, ohne selbst etwas zu sagen.
Während Huang wartete, betrachtete er die strahlendweiße Villa, die auf dem Hügel saß wie ein Märchenschloss. Ihre geschlossenen Fenster schimmerten im Sonnenlicht. Er fragte sich, welche Rolle er selbst in dieser Geschichte spielte.
»Es ging um ein Telefongespräch, das Mi eben von der Villa aus mit Fu geführt hat«, erklärte Chen und klappte sein Handy zu. »Es wurde aufgezeichnet.«
»Sie haben ihr Mobiltelefon abhören lassen?«
»Ja. Tut mir leid, es blieb keine Zeit, diesen Schritt mit Ihnen abzusprechen, Huang. Mir ist selbst erst gestern Nachmittag ein Licht aufgegangen, und da musste ich umgehend handeln. Durch Beziehungen konnte ich ihr Mobiltelefon überwachen lassen. Außerdem mussten die Fotos per Expressservice entwickelt werden.«
»Sie waren ganz schön schnell, Chef.«
Es war ihm tatsächlich keine Zeit mehr geblieben, mit Huang zu reden, den eigentlichen Grund für seine Heimlichkeit verschwieg Chen aber. Er wollte auf keinen Fall, dass die Innere Sicherheit von seinen Aktivitäten erfuhr.
»Also kurz zusammengefasst: Mi hat Fu in
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