Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
einem hysterischen Anfall beschuldigt, er habe sie hintergangen und dazu benutzt, Liu aus dem Weg zu räumen. Sie weinte, schrie und tobte, ganz, wie ich es erwartet hatte.«
»Und was hat er dazu gesagt?«
»Nicht viel. Er meinte, sie sei verrückt, und versuchte, sie zu beruhigen.«
»Damit können wir den Fall zum Abschluss bringen. Jetzt haben wir wasserdichtes Beweismaterial: das Telefongespräch und ihre Falschaussage. Aber eines interessiert mich doch. Wie sind die beiden eigentlich zusammengekommen?«
»Der Anruf beweist ja noch keine gemeinsame Tat, sondern nur ihre Beziehung. Und die ist, wie ich aus unterschiedlichen Quellen und mit einigem Nachdenken herausgefunden habe, folgendermaßen entstanden …«
Chen zündete sich eine Zigarette an, bevor er mit einer lässigen Handbewegung fortfuhr.
»… sie haben sich aus mehreren Gründen zusammengetan, wobei jeder seine eigenen Ziele verfolgte. Für Mi war vor allem die Enttäuschung darüber ausschlaggebend, dass sie für Liu immer die kleine Sekretärin bleiben würde. Ein anderes Mädchen hätte sich damit, wie Sie schon sagten, vielleicht zufriedengegeben. Sie aber träumte von einem sorgenfreien Leben als Lius zweite Frau. Womöglich hat ihr Liu früher diesbezügliche Versprechungen gemacht, doch sie merkte bald, dass er die nicht halten würde. Als sie dann erfuhr, dass er Wenliang als seinen Nachfolger aufbauen wollte, sah sie ihre Felle endgültig davonschwimmen.
Für Fu stellte sich die Sache anders dar. Er war von Anfang an ein Außenseiter im Betrieb. Er war als Kader der Jugendliga auf diese Stelle beordert worden, und so konnte er nicht genügend Seilschaften innerhalb der Firma aufbauen, um ein ernsthafter Konkurrent für Liu zu werden. Im Zuge der Wirtschaftsreform sah Liu die Möglichkeit, den Staatsbetrieb in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und ihn damit weitgehend in seinen Besitz zu bringen. Dadurch hätte er auch die Nachfolge in seinem Sinne lösen und den eigenen Sohn zum Thronerben machen können, anstatt den Außenseiter Fu. Als Fu das herausgefunden hatte, musste er handeln.
So bildeten die beiden eine Interessengemeinschaft. Aus Sicht von Mi hatte Fu zwei entscheidende Vorzüge: Er war jung, und er war unverheiratet; er würde sie also über kurz oder lang zu seiner Frau machen. Als Gegenleistung lieferte sie ihm entscheidende Informationen für seinen Machtkampf gegen Liu. Eine so wichtige Verbündete war natürlich nicht umsonst zu haben. Er musste sie von seinen ernsten Absichten überzeugen, deshalb durfte Mi auf keinen Fall von der Verlobten in Shanghai erfahren. Das erklärt die Heimlichkeit, mit der sich die beiden vergangenen Samstag in dieses Stundenhotel stahlen. Je mehr die Umstrukturierung Formen annahm, desto rascher musste er handeln …«
»Sie meinen den Mordplan?«, fragte Huang. »Hat Mi denn von Anfang an davon gewusst?«
»Sie könnte zumindest ihre Vermutungen gehabt haben. Liu arbeitete an der Umstrukturierung, ohne ihr Einblick in seine Pläne zu geben. Das bewies ihr erneut, wie wenig er ihr vertraute. Mitarbeiter haben mir bestätigt, dass Liu diesbezügliche Unterlagen niemals im Büro ließ, sondern immer im Safe seines Privatbüros aufbewahrte, zu dem nur er den Schlüssel hatte. Als Mi erfuhr, dass Liu am fraglichen Abend dort an dem Plan arbeiten wollte, erzählte sie es Fu, weil sie eine Möglichkeit sah, Einblick in das Dokument zu nehmen. Doch das war Fu nicht genug. Er wollte den Plan selbst in allen Einzelheiten studieren. Die beiden Verschwörer wussten, was sie zu tun hatten: Mi hielt sich mit Liu in dessen Privatbüro auf und sorgte dafür, dass er die Unterlagen aus dem Safe nahm, bevor sie ihm die Schlaftabletten verpasste. Vielleicht hat Fu ja tatsächlich zunächst vorgehabt, lediglich die Dokumente zu lesen, doch vor Ort überlegte er es sich anders. Seinen Interessen wäre am besten gedient, wenn Liu ein für alle Mal aus dem Weg war – und mit ihm sein Umstrukturierungsplan. Damit würde er selbst Herr des Betriebs und der Umstrukturierung werden.
Als man Liu am nächsten Morgen tot in seinem Apartment fand, begriff Mi natürlich sofort, was geschehen war. Aber da war sie selbst bereits zur Komplizin geworden und konnte nichts mehr gegen Fu unternehmen. Im Gegenteil, sie saß in der Falle und musste zu ihrem eigenen Schutz weiter mit ihm kooperieren. Der einzige Ausweg bestand darin, dass sie sich gegenseitig ein Alibi gaben.
Genau in dem Moment war der unliebsame Jiang
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