Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
ein Mann in der Gesellschaft einer begehrenswerten Frau.
Ein Barsch sprang unweit des Boots aus dem Algenteppich und schnappte nach etwas, das in der diesigen Luft nicht zu erkennen war. Seine Schuppen glitzerten silbern vor dem schmutziggrünen Hintergrund. Dann plumpste der Fisch ins Wasser zurück, schlug noch einmal mit dem Schwanz und schwamm davon.
»Danke, Shanshan. Ich genieße dieser Bootsfahrt – jede einzelne Minute«, sagte er in dem Bewusstsein, wie rasch die Zeit verrann.
Doch dann riss er sich zusammen. Angesichts ihrer möglichen Verstrickung in den Mordfall musste er Abstand halten, zumindest so lange, bis er sich – als Polizist – ausreichend informiert hatte.
»Anhand dessen, was Onkel Wang mir erzählt hat, kann ich mir kein klares Bild von den Vorfällen in der Fabrik machen.«
»Keine Ahnung, was er dir erzählt hat«, erwiderte sie, »wo er ja selbst kaum etwas weiß. Was möchtest du denn wissen?«
»Erzähl mir, was in letzter Zeit dort passiert ist – alles, was dir dazu einfällt.«
»Aber wieso?«
»Zum einen, weil ich viele Krimis übersetzt habe und mich von daher für Mordfälle interessiere. Vielleicht kann ich ja helfen.« Spontan ergriff er ihre Hand. »Durch meine Beziehungen hier.«
Sie überließ ihm ihre Hand, sah ihn aber nicht an. Ihr Blick wanderte über die grüne Masse auf der Wasseroberfläche, die sich im Nachmittagslicht bis an den Horizont zog.
»Ich weiß nicht, wo anfangen, Chen.«
»Zum Beispiel bei dem geplanten Börsengang der Firma, den du erwähnt hast. Warum machen die das? Gibt es einen Anlass? Oder bei deiner Arbeit für den Umweltschutz. Ich weiß so wenig darüber.«
»Mit diesen neuen Gesetzen zur Überführung von Staatseigentum in Privatbesitz kenne ich mich nicht aus«, begann sie zögernd. »In der Generation meiner Eltern gab es im ganzen Land nur Staatsbetriebe. Dann kam die Wirtschaftsreform des Genossen Deng Xiaoping, und plötzlich gab es privat geführte Betriebe. Viele Staatsbetriebe konnten da nicht mithalten, sie sind auf dem heutigen Markt nicht mehr konkurrenzfähig. Daraufhin hieß es, die Besitzverhältnisse müssten geändert werden; man ging von der Annahme aus, dass eine Firma nur dann Erfolg hat, wenn sie in Privatbesitz ist. Mit anderen Worten: Sozialismus und Kommunismus gehen den Bach runter, einziger Motor der Marktwirtschaft ist nun das kapitalistische Gewinnstreben. Einige Unternehmer haben daraufhin die alten Staatsbetriebe für geradezu lächerliche Summen in ihren Besitz gebracht.«
»Ja, wie ich gehört habe, wurde dabei viel gemauschelt«, bestätigte Chen, »was natürlich große Verluste für den Staat bedeutete.«
»Bei uns liegen die Dinge allerdings etwas anders. Die Besitzverhältnisse sollen zwar geändert werden, aber nicht indem ein auswärtiger Unternehmer den Betrieb kauft. Die Fabrik soll vielmehr in eine Aktiengesellschaft und damit in das Eigentum der Aktionäre überführt werden. Das hätte Liu die Möglichkeit gegeben, sich mit Aktien einzudecken, zu günstigen Bedingungen, zum Insider-Preis oder dank Manipulationen sogar umsonst. Sagen wir, er hätte sie pro Stück für fünf Mao erworben, dann hätte er sie, sobald sie auf dem Markt gewesen wären, für zwanzig oder dreißig Yuan wieder veräußern können. Außerdem wäre Liu in der Lage gewesen, große Mengen davon zu kaufen, ohne in die eigene Tasche greifen zu müssen. Das nötige Bargeld hätte er sich durch einen Bankkredit auf die Chemiefabrik beschafft.«
»Das nennt man ›Einen weißen Wolf mit bloßen Händen fangen‹, habe ich irgendwo gelesen.«
»Dann liest du also doch nicht bloß Schöngeistiges«, bemerkte sie und nickte bestätigend. »Im Westen versteht es sich von selbst, dass der frühere Besitzer den größten Aktienanteil hält, da er die Firma ja schließlich aufgebaut hat. Aber jemand wie Liu brauchte nur zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, um das Staatseigentum in seinen Besitz zu bringen – und das alles im Namen der Wirtschaftsreform.«
»Ja, diese kommunistischen Parteibonzen machen sich zu Milliardären und bleiben doch Parteifunktionäre«, sagte er und sah sie erstaunt an. »Alle Achtung, Shanshan, du hast dir einen guten Überblick verschafft. Ich könnte glatt ein Kolleg bei dir besuchen.«
»Das liegt daran, dass der geplante Börsengang unmittelbar mit der Verschmutzung zu tun hat. Nur deshalb habe ich mich überhaupt mit dieser sogenannten Reform befasst. Ein erfolgreicher Börsengang setzt
Weitere Kostenlose Bücher