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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu. Xiaolong
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kontrollierte offenbar die ausgelegten Netze, auch das eine Praxis, die sich seit der Tang-Dynastie nicht verändert zu haben schien. Doch im Hintergrund dräuten die Fabriken, ihre Schlote spien Rauch gegen die bräunlichen Hügel. Wasservögel stürzten sich auf tote Fische, die ans Ufer gespült worden waren.
    »Noch ein Lied«, bat Shanshan.
     
    Der Qing-Fluss mäandert
    um Tausende von Weidenschösslingen.
    Alles ist unverändert
    wie vor zwei Jahrzehnten …
     
    Die alte Brücke,
    wo ich einst von ihr schied,
    bringt, ach, auch heute
    keine Nachricht von ihr.
     
    Dieses letzte Lied überraschte Chen mit seinem traurigen Ausklang. Als er aufblickte sah er, dass das Ufer hier genauso von Trauerweiden gesäumt war wie in dem Gedicht.
    Wo würde er in zwanzig Jahren sein? Würde er sich dann noch an diesen Tag auf dem Wasser erinnern?
    »Wir bieten auch eine spezielle Mahlzeit auf dem Sampan an, wenn Sie das wünschen«, meldete sich der Bootsführer zu Wort und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Fische und Krabben, fangfrisch aus dem See. Ich brauche nur mein Netz auszuwerfen.«
    »Klingt verlockend.« Chen hatte von diesem Brauch gelesen, bei dem der Fang im Boot auf einem winzigen Kocher zubereitet und in der Kabine serviert wurde.
    Doch da fing er einen Blick von Shanshan auf. Sie sagte nichts – vielleicht wollte sie nicht schon wieder die Spielverderberin sein –, aber das brauchte sie auch nicht. Er kannte ihre Ansichten über den verschmutzten See und musste sie nicht in Gegenwart des Bootsführers diskutieren.
    »Leider haben wir keinen Hunger«, beeilte er sich zu sagen. »Jetzt nicht, vielen Dank.«
    »Vielen Dank«, wiederholte sie.
    »Kein Grund zur Eile. Sie haben mein Boot für den ganzen Tag gemietet«, erwiderte der Bootsführer ungerührt. Wieder waren seine Blicke auf Shanshan geheftet. »Aber ich könnte Ihnen eine Geschichte über ein solches Mahl erzählen.«
    »O ja, erzählen Sie«, ermunterte sie ihn.
    »Es geht um den Ursprung von Kaiser Qianlongs Lieblingsgericht, lebend gebratener Karpfen. Diese Spezialität ist nur in einigen wenigen Nobelrestaurants erhältlich. Der Fisch wird auf einer Platte mit Weidenmuster serviert und rollt noch mit den Augen.«
    Nun war auch Chens Interesse geweckt.
    »Es wird berichtet, dass Kaiser Qianlong aus der Qing-Dynastie am liebsten inkognito reiste. Bei einem seiner Ausflüge südlich des Flusses, bei dem er sich als Kaufmann verkleidet hatte, wurde er gegen Abend von einem Unwetter überrascht. Als er endlich einen Sampan besteigen konnte, fror er erbärmlich und war hungrig wie ein Wolf. Endlich unter Dach, bot er der Bootsführerin einige Silberlinge für ein Mahl. Die junge Frau trug eine blaue Baumwolltunika und kurze Hosen, war barfuß und befand sich ganz allein auf dem Sampan. Sie holte einen Krug ›Rote Jungfrau‹ hervor …«
    »Das ist der Name eines besonderen Reisweins aus Shaoxing«, erläuterte Shanshan für Chen.
    »Ja, einem alten Brauch gemäß vergraben die Leute bei der Geburt einer Tochter einen Krug mit Schnaps in der Erde. Jahre später wird er, zu einem wichtigen Anlass, etwa ihrer Verheiratung, wieder ausgegraben. Aber zurück zu unserer Geschichte. Dieser Krug musste viele Jahre im Erdreich verbracht haben, denn der Schnaps war weich und aromatisch. Qianlong leerte gleich mehrere Schalen hintereinander und vergaß völlig seine kaiserliche Abkunft. Aus Mitleid mit dem durchnässten Reisenden briet die Bootsführerin einen lebenden Karpfen für ihn, den sie zuvor aus dem See fischte. Der Fisch war zu groß für ihren kleinen Wok, und so hingen Kopf und Schwanz über den Rand, während der Rest im heißen Öl brutzelte. Anschließend servierte sie ihn auf einer Platte mit Weidenmuster. Der Fisch schmeckte ungewöhnlich frisch und zart, er soll in der Dunkelheit sogar noch ein paarmal mit den Augen gerollt haben …«
    »Ja, ich kenne dieses Gericht«, unterbrach ihn Chen. »Wenn der Karpfen an den Tisch gebracht wird, bewegt er die Augen, und sein Schwanz zittert noch. Ich habe es schon mal in Peking gegessen. Aber die Geschichte dazu war mir neu.«
    »Und sie ist noch nicht zu Ende. Der Höhepunkt kommt erst.« Hier machte der Bootsführer eine dramatische Pause. »Qianlong hatte offenbar schon ein paar Schalen zu viel intus, denn er erhob sich schwankend und attackierte mit seinen Stäbchen den Fisch. Plötzlich verwandelte sich dieser unter seinen Augen in das Mädchen, das sich blutend unter

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