Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
nämlich eine ausgeglichene Bilanz voraus. Daher hat Liu, um die Betriebskosten zu senken, im vergangenen halben Jahr so viel verschmutztes Abwasser in den See eingeleitet wie nie zuvor. In seiner Gewinnsucht war es ihm dabei völlig egal, ob die Welt vor die Hunde geht. Mit Mitte fünfzig musste er sich beeilen, da wollte er keine Rücksichten mehr nehmen.«
Ihre Ausführungen bestätigten seinen Eindruck, er hatte es hier keineswegs mit einer »Blumenvase« zu tun, einer hübschen, aber naiven jungen Frau.
Die Situation des modernen China war höchst komplex. Deng Xiaoping hatte die Reform mit dem Waten durchs Wasser verglichen, wobei man sich einen Trittstein nach dem anderen suchen müsse. Welches der nächste Stein sein würde, konnte niemand vorhersagen. War es der Wandel der Besitzverhältnisse? Das würde viele Menschen verunsichern, allein deshalb, weil sie sich nicht die Mühe machten, das neue System zu verstehen.
Eigentlich hätte das alles Shanshan nicht zu kümmern brauchen, da es außerhalb ihres unmittelbaren Arbeitsgebiets lag. Und doch interessierte es sie, weil hier die tieferen Ursachen für die Umweltzerstörung lagen.
Ein entscheidendes Problem für das neue China, das er auf die Liste für Genosse Parteisekretär Zhao setzen wollte.
»Danke für den erhellenden Vortrag. Jetzt kann ich mir mehr unter diesem Börsengang vorstellen«, sagte er. »Wäre es denn möglich, dass Lius Tod damit in Verbindung steht?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Eine andere Frage. Du hast mir erzählt, dass Liu in seinem Apartment oder Privatbüro ums Leben kam. Was hat es damit auf sich?«
»Das Büro liegt nicht weit von der Fabrik entfernt. Höchstens fünf Gehminuten. Ein Privileg für Parteikader. Das Apartment wurde ihm als Anerkennung für seine harte Arbeit zur Verfügung gestellt – zusätzlich zu dem zweistöckigen Bungalow, den er mit der Wohnungszulage der Fabrik erworben hat. Aber viele Angestellte arbeiten ebenfalls hart und haben zum Teil noch nicht mal ein eigenes Zimmer.«
»Hat er sich dort allein aufgehalten?«
»Wie meinst du das?« Aber ohne seine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: »Mi, seine ›kleine Sekretärin‹, war natürlich öfter bei ihm.«
»Mi sagt, dass sie ihm bei der Arbeit half.«
»Und im Bett.«
Das hätte er sich denken können. Heutzutage musste jeder Firmenchef, egal ob in der Privatwirtschaft oder in einem Staatsbetrieb, eine sogenannte kleine Sekretärin haben, eine junge Frau, die ihm im Büro wie auch sonst zu Diensten war. Sie war ein Statussymbol und häufig mehr als das.
»Verstehe. Ist die Beziehung zwischen Mi und Liu allgemein bekannt?«
»Ja, lebst du denn hinterm Mond, Chen? Nur deshalb hat sie doch die Stelle als Sekretärin bekommen. Sie war damals gerade mit der Hauptschule fertig und konnte keinerlei Qualifikation vorweisen. Es ist ein offenes Geheimnis, aber die Leute reden nicht darüber.«
»Also wusste Mi nicht nur über seinen Aufenthaltsort in jener Nacht Bescheid, sondern war auch sonst gut informiert.«
»Wenn Liu sich aus geschäftlichen Gründen dort aufhielt, dürfte sie mit seinem Zeitplan und seinen Terminen vertraut gewesen sein. Und wenn es nicht geschäftlich war, hat sie ihm vermutlich das Federbett aufgeschüttelt.«
Das klang deutlich anders als in der Version von Polizeimeister Huang. Ihm hatte sie zu Protokoll gegeben, nichts von Lius Plänen für den Abend gewusst und selbst bis spät nachts im Büro gearbeitet zu haben, was ihre Kollegen bestätigen konnten.
»Aha.« Er merkte, wie schwer es ihm fiel, nicht in den vetrauten Polizeijargon zu verfallen. »Er könnte an jenem Abend ja auch etwas vorgehabt haben, von dem sie nichts wissen sollte.«
»Durchaus möglich. Wer versteht schon, was zwischen Mann und Frau abläuft.«
»Jedenfalls muss er sie gut bezahlt haben.«
»In der Firma bekam sie das reguläre Sekretärinnengehalt. Immerhin hat er den Schein gewahrt, das muss man ihm lassen.«
»Aber am Ende wollte er ihr womöglich alles vermachen. Und das war für sie nur eine Frage der Zeit.«
»Da konnte sie sich nicht sicher sein. Eine ›kleine Sekretärin‹, die nicht innerhalb von ein, zwei Jahren zur Ehefrau aufrückt, bleibt, was sie ist. Der Boss mag seine eigenen Gründe dafür haben. Und ob Liu ihr privat etwas zugesteckt hat, ist natürlich eine andere Frage.«
»Gut beobachtet. Aber was ist mit seiner Frau? Sie war doch ebenfalls darüber informiert, was ihr Mann am Abend vorhatte,
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