Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
ihm wand. Als er schließlich wieder Herr seiner Sinne war, fand er sich auf ihr liegend, wie er an ihrem kleinen Zeh nuckelte, der ihm so zart und schmackhaft erschien wie das Bäckchenfleisch des Karpfens … Seither ist lebender Karpfen eine Spezialität der Hofküche …«
»Eine recht bizarre Gesichte über ein sehr spezielles Gericht«, bemerkte Shanshan. Dann fuhr sie zu Chens Überraschung fort: »Für einen Feinschmecker wie Sie wäre es ein Jammer, eine solche Gelegenheit zu verpassen. Bestellen Sie, worauf Sie Lust haben. Aber bitte keinen Fisch für mich. Sie wissen ja …«
»Sie brauchen nicht extra etwas für uns aus dem See zu fischen. Ein einfaches Mittagessen genügt uns.«
»Das schlichte Mahl eines Schiffers, ganz wie Sie wünschen, mein Herr.« Der Bootsführer musste sein Zögern bemerkt haben. »Aber ich habe etwas Besonderes heute – weiße Krabben.«
»Eines der ›Drei Weiß‹ aus dem See?«
»Nein, die habe ich nicht selbst gefangen. Sie kommen aus Ningbo, sind aber ganz frisch. Schließlich lebe ich auf dem See, ich weiß Bescheid.«
»Tja.« Chen sah Shanshan an. Ihre Aussagen über den vergifteten See waren damit erneut bestätigt.
»Er muss es ja wissen«, flüsterte sie Chen über den Tisch hinweg zu.
Sie bekamen ein Essen serviert, wie es in keiner Touristenbroschüre zu finden war; einfach, aber exzellent. Der Bootsführer hatte einen Feuertopf auf einem kleinen Brenner mit Flüssiggas erhitzt. Aus einer Kühlbox holte er neben den Krabben auch noch gefrorenen Tofu, Chinakohl und hauchdünne Rindfleischscheiben. Sie tauchten die verschiedenen Zutaten in die brodelnde Brühe und aßen sie anschließend mit einer speziellen Sauce.
Es war eine einzigartige Erfahrung; in dem beengten Raum über dem brodelnden Feuertopf berührten sich ihre Essstäbchen immer wieder. Die weißen Krabben schwammen nahezu durchsichtig in der Brühe und schmeckten erstaunlich frisch. Sie aß wenig und beschränkte sich auf Tofu und Chinakohl. Er öffnete schon bald seine zweite Bierdose. Als sie aus Versehen eine Krabbe erwischte, pulte sie sie tapfer mit schlanken Fingern und legte sie dann in seine Schale, wie zur Entschuldigung dafür, dass sie so pingelig war.
Keine ideale Gesellschaft für einen Gourmet, dachte er und musste über sich selbst schmunzeln. Aber was machte das schon? Schließlich würde er nur eine Woche hier sein.
Ein leichter Nebel stieg über dem Wasser auf, die Luft wurde feucht, bald würde es regnen.
Chen zwang sich, ein Thema anzuschneiden, das eigentlich nicht zu einem romantischen Bootsausflug passte. »Gestern war ich bei Onkel Wang. Aber keine Angst, ich bin Ihrem Rat gefolgt und habe nichts bestellt, was aus dem See kommt.«
»Ich weiß. Onkel Wang hat mir erzählt, dass Sie einige Anrufe für mich getätigt haben.«
»Nicht der Rede wert. Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht, nachdem ich Sie nirgends erreichen konnte.«
»Das weiß ich zu schätzen, Chen. Sie sind ein Mann mit Einfluss – sogar als Tourist.«
Mit Genugtuung registrierte er die vertrauliche Anrede, die sie benutzt hatte, und beschloss, diese zu erwidern und zugleich jeden Verdacht von ihr zu zerstreuen.
»Ich bin ein Niemand, Shanshan. Mit Polizeiangelegenheiten kenne ich mich nicht aus, aber wie man dich behandelt hat, das war einfach nicht in Ordnung. Wie der Volksmund sagt: Wenn man einem Unrecht begegnet, muss man sein Schwert ziehen «, improvisierte er. Doch dann reduzierte er sich schulterzuckend auf die klassische Rolle des machtlosen Literaten: »Doch leider steht mir kein Schwert zu Gebote.«
»Es wird warm hier unten«, sagte sie plötzlich, ihre Augen waren wachsam, die Brauen leicht gehoben. »Lass uns aufs Vorderdeck gehen.«
Auch ihm war aufgefallen, dass der Bootsführer von seiner Position im Heck ihre Unterhaltung mithören konnte.
»Gute Idee.«
Sie kletterten nach vorn, wo sie einen besseren Ausblick über den See und die ferne Hügelkette hatten. Da es dort keine andere Sitzgelegenheit gab, ließen sie sich auf dem Bootsrand nieder. Er war zwar ein wenig feucht, aber das störte sie nicht. An den Pfosten der Kajüte gelehnt, streckte Shanshan ihre langen Beine aus und schlüpfte aus den Schuhen. Sie wandte das Gesicht der Sonne zu, und ihre Züge erblühten in einem Lächeln. Der Wind zerrte verführerisch an ihrem schulterlangen Haar.
Wieder versuchte Chen sich selbst zu überzeugen, dass er derzeit nicht der Oberinspektor zu sein brauchte – er war ganz einfach
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