Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
einem Blick auf ihre Armbanduhr hinzu: »Beim Mah-Jongg-Spiel konnte sie vergessen, aber wichtiger ist, dass sie sich in letzter Zeit stark in der Gemeinde engagiert hat. Das ist eine andere lange Geschichte. Ich fürchte, ich muss jetzt gehen, sonst verpasse ich meinen Zug.«
»Vielen Dank, Frau Bai. Sie waren uns eine große Hilfe.«
Yu und Peiqin erhoben sich und blickten Bai nach, wie sie dem Ausgang des Parks zustrebte.
»Was hältst du davon, Peiqin?«
»Diese Frau Liu ist jemand, dem es äußerst wichtig ist, was andere über sie denken. Viele ihre Handlungsweisen, einschließlich der häufigen Fahrten nach Shanghai und des Mah-Jongg-Spiels, mögen anderen sonderbar vorkommen, aber für sie selbst haben sie große Bedeutung.«
»Seit wann bist du Psychologin, Peiqin?«
»Bin ich nicht. Aber ich glaube, dass sie für ihre Umgebung weiter die Rolle der erfolgreichen Frau spielen wollte, um sich im Neid und in der Bewunderung anderer zu sonnen. Mit Ausnahme von Bai natürlich, die ihre langjährige Freundin und Vertraute ist. Und auch in der Kirche hat sie vermutlich Trost gesucht, den sie anderswo nicht finden konnte.«
»Eine äußerst tiefgründige Analyse, Peiqin.« Unwillkürlich schlich sich ein ironischer Unterton in seine Stimme. »Die könnte ich wörtlich an den Oberinspektor weitergeben.«
»Eines will ich dir sagen. Ich bin direkt froh, dass du nicht so erfolgreich bist«, gab Peiqin zurück. »Sonst müsste ich mir womöglich ähnliche Sorgen machen wie diese Frau Liu.«
»Also wirklich, Peiqin. Aber zurück zum Oberinspektor: Was wir erfahren haben, dürfte ihm kaum weiterhelfen.«
»Ich finde, wir sollten noch einmal in mein altes Viertel gehen.«
»Warum das?«
»Ich hab da so ein Gefühl, dass die Frau, die Fu vor diesem billigen Hotel angesprochen hat, nicht einfach ein Karaoke-Mädchen war.«
»Du hast recht. Ich muss das Foto dem Nachbarschaftspolizisten zeigen.«
19
ALS CHEN ERWACHTE , war es fast neun.
Die zugezogenen Vorhänge tauchten den Raum in graues Zwielicht.
Verwirrt blieb er liegen, den Erlebnissen der Nacht nachspürend, bis er sich schließlich umdrehte und den Arm nach ihr ausstreckte.
Doch da war niemand.
Ruckartig setzte er sich auf, sein Blick schweifte über das zerwühlte Bettzeug.
»Shanshan!«
Nur das Echo ihres Namens hallte in der stillen Leere nach wie in einem Traum. Aber das war kein Traum. Im weißen Kissen war noch der Abdruck ihres Kopfes zu sehen; als er mit der Hand darüberstrich, meinte er, ihre Wärme zu spüren.
Er zog sich den Bademantel über und durchsuchte hektisch das Haus, fand sie aber nicht.
Als er vor die Tür trat, ließ eine böse Vorahnung ihn erschaudern. Die Steinstufen waren mit Blütenblättern übersät, die Wind und Regen über Nacht heruntergerissen hatten. Vögel tschilpten im Gebüsch.
Zurück im Haus bemerkte er auf dem Tisch einen Zettel, den sie mit einem schwarzen Haarband beschwert hatte. Sie hatte ihr Haar gelöst, als sie gestern Abend mit ihm am Fenster stand.
Ihre Botschaft lautete:
»Forsche nicht nach mir. Es könnte dir schaden, in meiner Gesellschaft gesehen zu werden. Du warst so gut zu mir. Danke für alles. Aber du musst deiner Berufung folgen und ich der meinen. Shanshan «.
Er war völlig verwirrt. Der letzte Satz hörte sich irgendwie bekannt an, er wusste jedoch nicht, woher.
Neben der Nachricht lag der dicke Ordner, den sie ihm gestern Abend anvertraut hatte. Er wog schwer in der Hand, als er ihn hochhob.
Was würde der Oberinspektor jetzt tun?
Chen marschierte durch das leere Haus, als sei er auf der Suche nach dem Echo ihrer Schritte.
Er wusste nicht, wie er ihren gestrigen Besuch und ihr morgendliches Verschwinden deuten sollte.
War sie so frustriert gewesen, dass sie sich einfach eine Nacht lang hatte gehen lassen wollen in den Armen eines Mannes, dem sie vertraute?
Die Weidenschösslinge dräuen durch den Nebel,
mein Haar ist gelöst, die Z ikadenspange liegt am Boden.
Was sorge ich mich um künftige Tage,
wo du mich heut Nacht bis zur Neige genossen hast?
Doch der Ordner in seiner Hand sprach eine andere Sprache. Sie würde ihren Kampf für den Umweltschutz nicht aufgeben. Vielleicht hatte sie ihm durch den Besuch auf ihre Weise danken wollen für seine Unterstützung bei dieser mühseligen Aufgabe.
Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt für solche Spekulationen. Als Polizist musste er sich eine Strategie zurechtlegen.
Die ganze Sache als erledigt zu
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