Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
draußen nach ein bisschen Spaß umsehen.«
»Verständlich. Danke für das Angebot. Vielleicht ein andermal«, erwiderte Chen und sah den Wagen in einer Staubwolke verschwinden.
Es war ja tatsächlich Verschwendung, wenn ein einzelner Gast eine ganze Villa bewohnte, aber per Definition standen solche Privilegien nur den ranghohen Kadern selbst zu. Doch wer war der Oberinspektor, dass er mit dem Finger auf andere zeigen konnte, schließlich gehörte auch er nicht zu diesem Personenkreis und war nur dank seiner guten Beziehungen hier.
Wieder einmal fragte sich Chen, wie weit sie ihn tragen würden, seine Beziehungen. Und ob er überhaupt so weit wollte.
Er drückte die Wahlwiederholung. Wieder keine Antwort.
Er hielt das Handy noch in der Hand, als es zu klingeln begann. Das Display zeigte Huangs Nummer.
»Hallo, Chef, ich hab da was Neues erfahren«, sagte Huang. Seine Stimme hatte einen eigentümlichen Klang. »Ich hatte Ihnen doch erzählt, dass Shanshans Telefon wegen ihrer Verbindung zu Jiang abgehört wurde. Erinnern Sie sich?«
»Ja. Und?«
»Diese Verbindung betraf nicht nur die Arbeit. Laut Innerer Sicherheit hatten die beiden eine Affäre. So ist ihr Name überhaupt auf die Liste der Verdächtigen gekommen – nicht unsere, sondern deren Liste. Man hat Fotos von ihr gemacht, wie sie sich spätnachts aus seiner Wohnung geschlichen hat. Das war vor einigen Monaten.«
Einen Moment lang war Chen sprachlos. Doch egal welcher Art diese Beziehung gewesen war, die beiden hatten sich inzwischen getrennt.
Wenn die Fotos etwas bewiesen, dann nur, dass die Innere Sicherheit Jiang schon lange auf den Fersen war. Womöglich auch Shanshan. Plötzlich fiel ihm der verdächtige Straßenhändler ein, der ihm in letzter Zeit mehrfach begegnet war. Aber vielleicht lagen auch nur seine Nerven blank.
»Und vor ein paar Tagen hat sie dann bei ihm angerufen«, fuhr Huang fort, nachdem sein Zuhörer keine Reaktion zeigte.
»Und worüber haben sie sich am Telefon unterhalten?«
»Er hat nicht abgenommen.«
»Danke, Huang«, sagte Chen. »Wenn es etwas Neues gibt, lassen Sie es mich wissen.«
Wie hätte Huang wohl reagiert, wenn er gewusst hätte, dass Shanshan diese Nacht bei Chen im Erholungsheim verbracht hatte?
Plötzlich zerriss der schneidende Klang einer Sirene den grauen Morgenhimmel.
»Sie sind heute aber früh dran, Chen«, begrüßte ihn Onkel Wang. Er stand vor dem Lokal, über ein Öfchen gebeugt, das er mit alten Zeitungen und trockenen Zweigen anheizte. Als das Feuer brannte, legte er Kohlebriketts nach. »Wir servieren hier kein Frühstück, aber ich kann Ihnen eine Schüssel gesalzene Sojamilch in der Mikrowelle aufwärmen, wenn Sie möchten.«
»Machen Sie sich keine Umstände, Onkel Wang. Ich habe schon gefrühstückt. Ist Shanshan hier gewesen?«
»Heute nicht, das wäre zu früh für einen Sonntag. Aber sie war auch gestern nicht da. Wissen Sie etwas von ihr?«
»Nein, aber ich habe sie gestern Abend gesehen.«
»Ah. Ich mache mir solche Sorgen um Shanshan«, sagte Onkel Wang. »Und auch um Sie. Vorgestern sind hier ein paar Fremde aufgetaucht. Sie haben lauter diffamierende Fragen über Shanshan gestellt und über den Mann, der in den letzten Tagen in ihrer Begleitung gesehen wurde.«
»Tatsächlich!«
»Aber ich habe natürlich nichts gesagt.«
Dann hatten sie also bereits Erkundigungen über ihn eingezogen. Vielleicht war es naiv anzunehmen, dass er ihr eine Hilfe sein konnte, dachte er ernüchtert. Wenn die Innere Sicherheit von ihrer Verbindung erfuhr, konnte sich das sogar nachteilig für Shanshan auswirken.
Und auch er selbst war keineswegs unberührbar, auch wenn er es ihr gegenüber so dargestellt hatte. In China konnte alles politisch werden. Seine Feinde brauchten nur einen weiteren Beweis für den »bourgeoisen Lebensstil« des Oberinspektors ans Licht zu zerren.
Ein schlaksiger Mann mittleren Alters lieferte auf einem Lastenrad die Lebensmittel für den Tag an. Onkel Wang wählte einen Karpfen, roch daran und warf ihn zurück auf die Ladefläche. Dann begann das Feilschen mit dem Händler.
Im gleichen Moment erhielt Chen einen Anruf von Hauptwachtmeister Yu; den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen, rief sein Partner wieder von unterwegs an.
Yu berichtete ihm von dem Gespräch mit Frau Bai im Anschluss an den Gottesdienst.
»Sie meint, ihre Freundin würde vielleicht heute in Wuxi den Gottesdienst besuchen«, sagte Yu.
»In der Kirche scheint sie ihren inneren
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