Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
und sich vorstellen, was ihr Mann mit anderen Frauen trieb.«
»Dann wusste sie also von seinen Affären.«
»O ja. Und sie hat sehr darunter gelitten. Andererseits war sie zu stolz, sich das einzugestehen oder etwas zu unternehmen.«
»Nun, für Emporkömmlinge, wie ihr Mann einer war, ist eine kleine Sekretärin heutzutage nichts Außergewöhnliches«, bemerkte Peiqin.
»Mag sein, aber ich kenne die Geschichte der beiden von Anfang an. Hier liegt der Fall etwas anders. Das Schicksal einer Schönheit hängt wahrlich am seidenen Faden. Während unserer Schulzeit hatte sie jede Menge Verehrer, aber sie musste sich ausgerechnet diesen Liu aussuchen. Als er dann in Wuxi Erfolg hatte, haben wir uns alle für sie gefreut. Doch die Blumen auf dieser Erde blühen nicht ewig. Bald darauf nahm er sich kleine Sekretärinnen, Mädchen aus Karaokebars und Massagesalons. Seit er das sogenannte Privatbüro hatte, kam er abends kaum noch nach Hause. Und als der Sohn zum Studium nach Peking ging, saß sie endgültig allein in dem riesigen Haus. Was sollte sie schon machen, außer sich auszumalen, wie ihr Mann mit anderen Frauen ins Bett ging und mit ihnen in Wolken und Regen schwelgte. Aber eines muss man ihm lassen, er hat trotz allem zu ihr gehalten. Er hatte geschworen, sich nie von ihr scheiden zu lassen, denn sie allein liebte ihn wirklich, meinte er, den anderen ginge es nur um sein Geld und sie würden alles tun, um es in ihren Besitz zu bringen. Deshalb hat er seine Frau finanziell gut gestellt und ihr sogar ein Luxusapartment in Shanghai gekauft. In letzter Zeit hatte sich die Beziehung auch wieder gebessert. Ihr Sohn war mit dem Studium fertig und sollte zurückkommen. Vermutlich war er der Grund, weshalb sie sich nie haben scheiden lassen. Diese Dinge hat sie nur mir erzählt. Sie war sehr auf ihren Ruf bedacht und hätte vor ihren Shanghaier Bekannten das Gesicht verloren, wenn sich Lius Untreue herumgesprochen hätte.«
»Aber sie hätte sich doch scheiden lassen können, wenn sie so darunter gelitten hat.«
»Nicht eine Frau wie Liu, die so viel auf das Ansehen anderer gibt. Damit hätte sie ja zugegeben, dass ihre Heirat eine krasse Fehlentscheidung war. Nein, ihr Leben sollte auch weiterhin eine Erfolgsgeschichte sein. Sie wollte von anderen Frauen beneidet werden, die viel darum gegeben hätten, an ihrer Stelle zu sein. Natürlich konnten die nicht hinter die Fassade aus Luxus und Glamour schauen.«
»Ich möchte wetten, manche würden auch sehenden Auges gern mit ihr tauschen«, kommentierte Peiqin.
»Stimmt. Es ist eine Schande, wenn erfolgreiche Männer sich Frauen suchen, die ihre Töchter sein könnten; sie scheinen zu glauben, dass der Erfolg sie über Nacht verjüngt.« Hier machte Bai eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Ich kann bestätigen, dass sie wirklich alles versucht hat. Letzten Samstag brachte sie ihm von hier extra eine in Wein eingelegte Schweinezunge mit nach Wuxi – Lius Leibgericht. Es schien in letzter Zeit wirklich wieder besser zu laufen zwischen den beiden. Sie hatte zu Hause ein Abendessen vorbereitet, doch dann rief er an und sagte, er würde die Nacht in seinem sogenannten Privatbüro verbringen. Das hat sie so aufgeregt, dass sie am späten Nachmittag wieder bei mir auftauchte. Sie wusste, dass für den Abend eine Mah-Jongg-Partie geplant war.«
»Eine Frage noch«, sagte Yu. »Sie erwähnten, dass früher viele junge Männer sie umschwärmten. Einige von ihnen dürften nach wie vor in Shanghai sein. Hat sie vielleicht zu denen noch Kontakt?«
»So kann nur ein Mann fragen. Männer um die vierzig oder fünfzig sind in ihren besten Jahren, vor allem wenn sie erfolgreich sind. Eine Frau in unserem Alter gilt dagegen längst als verblüht. Liu wäre viel zu stolz, um sich von ihren ehemaligen Verehrern bemitleiden zu lassen. Nein, da hat es bestimmt keine Kontakte gegeben.«
Doch Yu ließ nicht locker. »Eine andere Frage: Gibt es junge Männer unter Ihren Mah-Jongg-Partnern?«
»Nun, da gibt es schon den einen oder anderen, der sich Hoffnungen bei einer reichen Frau macht. Diese Taugenichtse wollen sich beim ›Tantchen‹ einschmeicheln, weil sie sich ein Taschengeld oder mehr versprechen, aber darauf fällt sie nicht herein.«
»Dann sind ihre Ausflüge in die alte Heimat also mehr ein Rückzug«, interpretierte Peiqin. »Eine Möglichkeit, ihr Selbstbild in den Augen der anderen aufrechtzuerhalten.«
»Genau. Sie als Frau verstehen das«, sagte Bai und fügte mit
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