Toete John Bender
auf. »Verdammt, Tom!« Er schüttelte den Kopf, seine Verzweiflung war ihm anzusehen. »Immer dieser Mist mit den Gefühlen. Vorgesetzte sollen Herz zeigen, sich in ihre Mitarbeiter einfinden können, Vorbild sein.« Er atmete laut aus. »Wie soll das gehen, hä? Ich habe eine Familie gehabt, war aber mit meinem Beruf verheiratet. Mit meiner Frau wechsel ich kaum drei Sätze am Tag, mit meinen Kindern … ich weiß gar nicht, wer die sind, und die wollen auch mit mir nichts zu tun haben.« Er sah an Doris und Tom vorbei. »Nicht mehr«, flüsterte er und atmete schwer.
Tom legte ihm einen Arm auf die Schulter. Er überlegte. Wie persönlich durfte er werden?
»Wolfgang, hör zu! Das ist ein Coaching für euren beruflichen Alltag als Führungskräfte. Und jede Führungskraft bringt ihren eigenen Rucksack mit in dieses Wochenende, und manchmal verbirgt sich darin etwas, das man bewusst darin ganz nach unten gestopft hat. Du hast das jetzt wiedergefunden: deine Familie, deine Kinder.« Tom drückte ihn etwas fester. »Du hast eine so verantwortungsvolle Position UND Familie – das bewundere ich sehr! Ich selbst kriege es nicht vereinbart und muss leider noch auf Kinder verzichten«, log Tom, denn eine Familie wollte er unter keinen Umständen gründen, geschweige denn eine feste Beziehung eingehen. »Vielleicht hilft es dir, die durch dieses Seminar gewonnene Erkenntnis über Empathie in deinem Familienleben anzuwenden. Vielleicht kommst du zu dem Entschluss, neue Prioritäten zu setzen.«
Doris nickte ihm bestätigend zu.
»Ich glaub' nicht, dass ich das noch ändern kann, Tom. Und ich glaube auch nicht, dass ich in allem Unrecht habe. Bei den Mitarbeitern, die ich führe, würden andere verzweifeln, ehrlich! Und dennoch mache ich mir Gedanken um ihre Situation und jede Kündigung geht mir auch irgendwo nahe«, antwortete Wolfgang.
»Aber genau das meine ich doch«, beharrte Doris. »Du tust immer so, als seien Emotionen eine Krankheit, dabei empfindest doch auch du etwas, du stehst aber nicht dazu. Das ist nur Schutz, Wolfgang. In Wirklichkeit können sich deine Mitarbeiter keinen besseren Chef wünschen.«
Sie streichelte ihn am Unterarm.
»Ist schon gut, Doris.« Wolfgang lachte. »So, kein Wort zu den anderen, verstanden?!«
»Klar!«, bestätige Tom und bot ihm eine Hand zum Hochziehen an. Wolfgang ergriff seinen Unterarm und Tom zog ihn auf die Beine.
»Seid ihr ansonsten gut zurecht gekommen mit den Aufgaben?«, fragte Tom.
Wolfgang nickte. »Ja, ich bin auf die Auswertung gespannt. Das ist ja immer bei Eigen- und Fremdwahrnehmungen das Spannendste.«
»Ja!«, bestätigte Tom. »Jens, sammelst du bitte die Fragebögen ein?«
Jens holte die Schreibunterlagen, die Doris und Wolfgang vergessen hatten. Als sie zum Lager zurückgingen, schlossen sich Sascha, Frederik und Silvia ihnen an, was Tom ein Zusammenrufen zur Mittagspause ersparte.
»Seid ihr gut klargekommen mit den Aufgaben?«, fragte er die andere Gruppe.
»Na ja, wir haben das ganz gut in den Griff bekommen, obwohl Frederik die ganze Zeit Musik hören musste«, fasste Sascha zusammen.
»Und wir fanden es auch ganz interessant. Also, man konnte hinter der Fragestellung schon eine mögliche Analyse erkennen. Milton hieß der, ja?«, ergänzte Silvia.
»Ja, genau, das war der besagte Herr Milton . Ihr bekommt noch einen theoretischen Teil im Anschluss an das Coaching«, antwortete Tom, zufrieden mit diesem Block.
»Wir werden jetzt … also ich meine, Jens wird jetzt das Mittagessen vorbereiten. Über Hilfe freut er sich bestimmt, oder Jens?« Tom sah zu Jens hinüber, der die Fragebögen sortierte.
»Hilfe? Klar! Hilfe kann ich immer gebrauchen«, antwortete er und grinste.
»Und ich werde noch einmal für eine kurze Zeit verschwinden. Wir sehen uns dann später wieder. Jens, lass uns noch einmal besprechen, ja?«
»Ja, warte, sofort. Am Boot?«
»Ja, in Ordnung. Ich geh schon mal vor und warte auf dich.«
Tom überprüfte, ob er seine Zigaretten und sein Feuerzeug dabei hatte, nahm sich seinen vorgepackten Rucksack und den Handwagen und schlenderte durch die Dünen zum Strand. Innerlich versuchte er sich zu beherrschen.
***
»S o, die Fragebögen sind sortiert, müssen nur noch eingelesen werden und Essbares habe ich genügend gefunden. Sascha und Wolfgang wollten aber mit der Angel noch mal los, die du mitgebracht hast. Das war eben heftig mit Wolfgang, oder? Ich habe das nicht erwartet und mich hat es total überrascht«,
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