Toete John Bender
anderen. Ein Gelächter erschallte unter der Jurte. Offenbar war Wolfgang nicht so einfach zu wecken. Als Tom die Gruppe erreichte, stand Wolfgang schlaftrunken, umringt von den anderen, in deren Mitte und Sascha klopfte ihm Sand von seinem Rücken. Wolfgang rieb sich den Schlaf aus den Augen, schwankte vor und zurück, und sah sich verwirrt um. Sein benommener Gesichtsausdruck sorgte für weiteres Gelächter und zumindest für ein Schmunzeln bei Tom.
»Na, Wolfgang, ausgeschlafen?«, fragte er.
Sah Silvia ihn nicht von der Seite an? Lag da ein unerwartetes Gefühl in ihrem Blick? Tom beherrschte sich und nahm sich vor, nicht weiter auf sie zu achten.
Wolfgang schüttelte sich und grinste, was ihm ein jungenhaftes, fast dümmliches Antlitz verlieh. Tom konnte sich immer weniger den gefühlslosen, knallharten Chef in Wolfgang vorstellen; jene Rolle, die er nach außen spielte. Wahrscheinlich kannten seine Untergebenen diesen Wolfgang nicht, den Tom gerade kennenlernen durfte. Vielleicht aus Furcht, vielleicht weil sie selbst oder Wolfgang ein Kennenlernen gar nicht wollten. Gefühle zu zeigen barg auch immer die Gefahr, verletzt zu werden.
»Wir können ruhig anfangen«, erklärte Wolfgang.
»In Ordnung. Lasst uns in die Sonne gehen.«
Tom versammelte die Teilnehmer um sich und wartete mit seiner Ansprache auf Jens, der sich kurz darauf zu ihnen gesellte und hinter seinem Rücken die Spaten verbarg.
»Wie ich sehe, sind einige von euch sehr geschafft. Zumindest sehen sie so aus.« Er schlug kameradschaftlich seinem besten Beispiel für diese Worte – Wolfgang – auf die Schulter. »Dieses Mal allerdings …«, fuhr er fort, »… werden wir uns nicht in Palmen verwandeln. Wir werden uns nicht massieren lassen. Dieses Mal … wird es hart und sportlich werden.«
Tom ließ eine dramaturgische Pause verstreichen, während der er jeden von ihnen ansah. Wolfgang zog ein vor Schmerz verzerrtes Gesicht, Sascha und Frederik lachten verhalten.
»Aber zuvor ein paar Worte zur Auswertung eurer Partnerinterviews und der Wahrnehmungsbögen. Die Ergebnisse werde ich im Detail und in Einzelgesprächen mit euch auf dem Schiff durchgehen, wenn wir wieder in Richtung Heimat und Berufsalltag unterwegs sind. Zum Abschluss der gesamten Veranstaltung erhaltet ihr alle Ergebnisse auch noch einmal schriftlich. Diese Übung diente dazu, sich selbst einschätzen zu lernen, sich ein Bild von sich zu machen und dieses Bild mit den Einschätzungen anderer über euch abzugleichen. Diese Methode kann in allen hierarchischen Modellen angewandt werden. Hauptsächlich beurteilen auf diese Art mittelständische Firmen oder Abteilungen großer Konzerne ihr Personal. Chefs schätzen Untergebene ein, Angestellte die Führungsebene, selbstverständlich anonymisiert. In diesem Rahmen hier …«, er deutete auf alle Anwesenden, »… genießen wir den exklusiven Vorzug, dass ein jeder von euch über Führungsqualitäten, Führungserfahrungen und die entsprechende Position verfügt, und das Feedback daher ein anderes Niveau, eine höhere Qualität besitzt. Die Standards, die dementsprechend von euch selbst gefordert werden, sind enorm hoch und spiegeln sich so auch in eurer Auswertung und Einschätzung anderer wider. Allgemein lässt sich erst einmal soviel sagen, dass ihr alle schon euer Potenzial zur Verbesserung aktiviert habt und – und das sage ich wirklich nicht jeder Gruppe – ihr die Qualitäten einer guten Führungskraft in euch tragt und wahrscheinlich auch im Beruf vorlebt. Also, jeder klopft jetzt seinem rechten Nebenmann auf die Schulter.«
Tom pochte Jens anschaulich auf die Schulter, Jens Sascha, bis sie sich reihum gegenseitig auf die Schulter schlugen.
»So, jetzt sagen wir drei Mal: Hast gut gemacht! Hast gut gemacht! Kommt, lobt euch!«, forderte Tom sie auf und zaghaft lobten sie sich gegenseitig.
»Jetzt den linken Nebenmann oder die linke Nebenfrau!«
Die Teilnehmer legten langsam ihre Scheu ab, lobten sich stärker und lachten.
»Okay, stopp! Jetzt ballen wir die Hände zu Fäusten und strecken sie gerade vor uns aus. Jetzt recken wir die Daumen nach oben.«
Sie taten es ihm nach, verwundert, da sich ihnen der Sinn dieser Geste nicht erschloss.
»Jetzt winkelt ihr beide Arme neunzig Grad an … nee, Sascha, zu dir … genau! Und jetzt noch einmal: Hast gut gemacht! Hast gut gemacht!«
Lachend lobten sie sich selbst, mehr als drei Mal, und Tom fand, die Übung hatte ihren Zweck erfüllt. Gelöst und locker warteten
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