Toete John Bender
einen Hoffnungsschimmer in Doris' Blick, und ehe er sich zur Freude entwickeln konnte, relativierte er seine Äußerung schnell. »Aber das würde für Sie bedeuten, eine Stelle als Sachbearbeiterin in unserer Filiale in Magdeburg mit Gehaltseinbußen anzunehmen.«
Doris sah Wolfgang an. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, oder?«, flüsterte sie.
Tom war begeistert von ihrer schauspielerischen Leistung. Es wirkte so echt, dass Wolfgang sich tatsächlich emotional betroffen zeigte.
»Doch«, antwortete er und räusperte sich mit vorgehaltener Hand.
»Ich habe zwei schulpflichtige Kinder, Herr Schnettler. Mein Mann hat hier seine Arbeit. Wir haben gerade gebaut, unter anderem auch, weil es auf der letzten Kundgebung des Vorstandes hieß, die Stellen seien sicher. Was ist damit? Was verlangen Sie da von mir?«, wurde Doris lauter.
Wolfgang hörte mit versteinerter Miene zu, rieb seine Nasenspitze, ehe er antwortete: »Ich weiß, Frau Keilpflug. Aber Sie müssen die Stelle in Magdeburg auch nicht annehmen. Keiner zwingt Sie dazu«, verteidigte er sich.
»Ach! Das ist ja mal was ganz Neues, was Sie mir da sagen! Und wie stellen Sie sich das vor? Mal so nach Magdeburg umziehen, einen Job für meinen Mann suchen, eine Schule für die Kinder, ein Haus, das wir uns leisten können?«
Wolfgang nickte und sammelte sich. »Ich weiß, Frau Keilpflug, ich weiß. Hören Sie sich mein Angebot doch einmal an. Einen Job für ihren Mann kann ich natürlich nicht finden, aber Magdeburg und die Umgebung … das ist eine Region im Aufbruch. Ihr Mann sollte dort sicherlich eine gute Arbeit finden. Bei der Haussuche und Schulauswahl würden wir als Arbeitgeber selbstverständlich behilflich sein. Die Immobilienpreise in Magdeburg sind noch niedrig, niedriger als hier, vielleicht wäre es eine Möglichkeit für Sie, Ihre gerade erworbene Immobilie zu vermieten und dort etwas Gutes aber auch Günstigeres zu finden. Ich an meiner Stelle will es auf jeden Fall so machen«, bot er ihr seine Hilfe und die Unterstützung der Firma an.
Der Aufsichtsrat machte sich Notizen und Tom vergewisserte sich, dass Jens das Gespräch auch tatsächlich filmte. Hinter ihnen fuhren Blitze aus den sich auftürmenden Wolken nieder und Tom musste feststellen, dass sich der Himmel sehr verdunkelt hatte.
»Also gut«, sagte Doris, deren Wut sich abkühlte. »Ich bin gerne dazu bereit, wenn ich konkrete Angebote und Informationen zu Immobilien und Schulen erhalte. Außerdem …« Sie stockte, riss plötzlich die Augen auf und presste beide Hände gegen die Schläfen. Sie stöhnte auf, eine Schmerzattacke quälte sie.
»Ganz ruhig, Doris, ganz ruhig. Du kannst das, es ist gleich vorbei, gleich vorbei«, flüsterte sie sich selbst beruhigend zu und wiederholte es wie ein Mantra, völlig in sich selbst versunken.
Wolfgang beugte sich zu ihr. »Doris, brauchst du Hilfe?«
»Ist gleich vorbei, gleich vorbei«, antwortete sie von weit entfernt und mit geschlossenen Augen. Eine so heftige Schmerzwelle hatte sie bisher noch nie durchleiden müssen. An ihrem Höhepunkt vor die Wahl gestellt, hätte sie das Ende ihres Lebens gewählt, wenn nicht absehbar gewesen wäre, dass sich der Schmerz schnell milderte. Jetzt ebbte die Pein allmählich ab, und sie betete, es möge keine zweite Welle folgen. In ihrem Kopf pochte das Blut. Ihr schwindelte, alles drehte sich und sie verließ ihren Körper, trat aus sich heraus und konnte sich auf dem Stuhl, gestützt von Tom und Wolfgang, sitzen sehen. Es roch nach Regen, sie sah aus nächster Nähe, so als würde sie nur knapp darüber schweben, wie sich auf der Heide Pfützen bildeten, diese anstiegen, zusammenflossen und der Regen mit solch einer Macht wütete, dass es in kleinen Fontänen aus ihnen wieder hinausspritzte. Der Geruch von nasser Erde und Regen drang so intensiv in sie ein, dass sie glaubte, ihn nie wieder loswerden und vergessen zu können. Plötzlich bildeten sich Schlieren, das Wasser verfärbte sich und es roch stechend nach Eisen. Nach Blut , schoss es ihr den Kopf. Sie kannte den Geruch!
Das Wasser verfärbte sich, als hätte jemand rote Tinte hineingegossen, oder besser, als würde man sie immer noch hineingießen, denn es breitete sich immer weiter aus. Sie schwebte ein Stück höher, sah die Heide unter sich zu einer einzigen Wasserfläche verschmelzen, aus der einzelne Grasbüschel herausragten. Und sie sah das Blut im Wasser, wie es sich ausbreitete. So viel Blut! Viel mehr, als damals bei Joachim!
So
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