Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
MORDE.
Er mochte das Bild seiner Schrift. Sie sah fremdartig aus, wahnsinnig.
Sie sah … perfekt aus.
Wie sehr er sich danach sehnte, perfekt zu sein!
Im Schlafzimmer hatte er ein Loch in die Wand getreten. Ein Pfeil zeigte auf den leeren Raum. Daneben hatte er eine weitere Botschaft geschrieben:
HI, MEIN NAME IST MR. WILLIAMS,
UND ICH LEBE IN DIESEM LOCH.
ICH HABE MEHRERE KINDER,
DIE ICH ZU KILLERN ERZIEHE.
WARTET NUR, BIS SIE ERWACHSEN SIND.
Den Rest des Tages verbrachte er mit entspanntem Lesen in Das Schweigen der Lämmer . Nathan bewunderte Hannibal Lecter sehr; er wünschte, er hätte für die nächsten Morde die Identität des manischen Psychiaters annehmen können. Leider waren seine Aktivitäten auf die wirkliche Welt beschränkt. Er stieß einen Seufzer aus und blätterte zur nächsten Seite.
Das Wetter war sehr kalt. Um genau acht Uhr zog er seine schweren schwarzen Sachen an, was ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Nachdem er die Schusswaffe in die Manteltasche gesteckt hatte, trat er hinaus in die kalte Nachtluft.
Den weißen Pontiac Sunfire hatte er vom Gelände eines Gebrauchtwagenhändlers in Strongsville gestohlen. Wahrscheinlich würde es Tage dauern, bis man das Verschwinden des Wagens bemerkte, doch er würde ihn bereits in dieser Nacht in einem Getto auf der Eastside zurücklassen und ein neues Fahrzeug für seine Flucht organisieren.
Nathan kannte die Straßen um Cleveland herum sehr genau. Es waren seine Straßen. Er bog links auf die Wooster Road und gleich darauf wieder rechts auf die Center Ridge ab. Eine halbe Meile später steuerte er den belebten Parkplatz der Westgate Shopping Mall in Rocky River, Ohio, an. Hier würde er sie finden – die Schlüssel, die er benötigte, um das außergewöhnlich verabscheuungswürdige Verbrechen des Son of Sam neu zu erschaffen.
Er parkte in unauffälliger Entfernung zum Haupteingang der Mall an einer Stelle, die ihm einen guten Ausblick auf die Scharen weihnachtlicher Kundschaft verschaffte, die durcheinanderliefen und blökten wie geistlose Schafe, während sie den bemitleidenswerten, ewig gleichen Abläufen ihrer erbärmlichen kleinen Leben nachgingen.
Nathan schüttelte angewidert den Kopf, verärgert angesichts der Unstimmigkeiten in seinem Skript. Der echte Son of Sam hatte seine Morde in der glühenden Hitze des Sommers 1977 begangen – zu einer Zeit, als die Tussis noch ein gutes Stück zäher gewesen waren als heutzutage. Manchmal musste man sich eben anpassen, um zu überleben.
Trotzdem wünschte sich Nathan – ähnlich wie David Berkowitz, der »Wicked King Wicker« – sehnlichst, sie alle zu töten. Und langsam obendrein.
Doch er konnte sich nicht erlauben, an diesem Punkt des Spiels so weit von seinem vorgegebenen Skript abzuweichen; deshalb stellte er den Motor des Wagens ab, fuhr seinen Klapprechner hoch und wartete in völliger Stille auf das Auftauchen seiner Beute.
68.
Trotz seiner Zusage, in ein paar Stunden bereits in Cleveland zu sein, landete Direktor Bill Krugmans Maschine erst um acht Uhr abends auf dem Hopkins International. Er hastete die Gangway der DOJ Gulfstream V hinunter und wurde auf dem Vorfeld von Dana und Brown empfangen.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich wurde aufgehalten, eine Besprechung mit dem Präsidenten. Er sitzt mir im Nacken mit dieser Sache. Ich habe mit einigen Ihrer Kollegen gesprochen, und ich war sogar bei Crawford zu Hause – nichts. Er geht nicht ans Telefon. Sieht so aus, als könnten Sie recht haben, Dana. Wie dem auch sei, ich habe bei der örtlichen Polizei und bei sämtlichen FBI-Büros in Ohio eine Suchmeldung herausgegeben. Wir müssen den Fall lösen, Leute, und zwar schnell. Verdammt schnell. Mein Job steht auf dem Spiel – und Ihre Jobs ebenfalls.«
Dana nickte. Ein eisiger Wind heulte über das Vorfeld. Für einen Moment fragte sie sich, ob Crawford etwas zugestoßen war, doch der Tumor schien plötzlich nicht mehr von Bedeutung zu sein. Crawford hatte sie belogen. Belogen und betrogen.
Irgendwie bezweifelte sie, dass sie Crawford jemals finden würden. Er hatte diese Morde allem Anschein nach viele Jahre lang geplant, und kein Mensch auf der Welt wusste über die Abläufe beim FBI besser Bescheid als Crawford Bell. Verdammt, er hatte eigenhändig die Dienstanweisungen zum Thema verfasst!
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Dana.
Krugman blickte auf die Uhr. »Wir machen bei Tagesanbruch weiter«, sagte er. »Im Augenblick müssen wir uns ausruhen, so
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