Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
hatte, gleich ohnmächtig zu werden. »Wo bist du?«
»Im Avalon«, sagte Selma. »Netter Laden.«
»Ist diese Agentin bei dir?«
»Ja.«
»Okay«, sagte Forsberg schon wieder und merkte, dass er daherredete, als wäre er der Cop in einem amerikanischen Film. Er nahm sich zusammen: »Pass auf, Selma, diese Agentin darf Lillemor Ahlborg auf keinen Fall warnen, also nimmst du sie jetzt mit aufs Präsidium und fertigst schön langsam ein Protokoll mit ihr an. Lass sie nicht aus den Augen, nimm ihr das Handy ab, wenn sie aufs Klo geht. Inzwischen veranlasse ich alles, damit diese Ahlborg sofort Besuch bekommt. Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Gut«, sagte Selma und legte sofort auf. Forsberg fragte sich, ob sie seine Entschuldigung akzeptiert hatte. Dann aber sagte er sich, dass das im Augenblick ziemlich egal war. War es möglich, dass der Fall Lucie nach so langer Zeit doch noch ein gutes Ende nahm? Aber was hieß hier schon gut? Selbst im günstigsten Fall hatte man den Eltern vier wichtige Jahre mir ihrer Tochter unwiederbringlich gestohlen. Das Kind würde seine vermeintliche Mutter ein zweites Mal verlieren und zu ihm fremden Menschen zurückkommen. Aber immerhin lebte die Kleine, im Gegensatz zu Valeria Bobrow.
Forsberg verschob das Philosophieren auf später und telefonierte mit Anders Gulldén. Der musste die Dinge bei den Dänen ins Rollen bringen. Es brauchte jedoch fast fünf Minuten, ehe er seinem Chef klargemacht hatte, dass das alles kein Hirngespinst war, sondern eine Situation, die ein rasches Handeln erforderte. Er musste zuerst Gulldéns Befürchtungen zerstreuen, sich bei den Dänen bis auf die Knochen zu blamieren, sollte sich das alles als Irrtum herausstellen. Manchmal, dachte Forsberg, frage ich mich, wie Leute, die geistig so träge sind wie eine Eidechse im Winterschlaf, in Führungspositionen landen können. Er war kurz davor, diesen Satz laut auszusprechen, als sein Vorgesetzter schließlich einlenkte und versprach, die dänischen Kollegen zu informieren.
»Jetzt sofort«, vergewisserte sich Forsberg.
»Ja, natürlich, jetzt sofort«, knurrte Gulldén zurück.
»Und du hältst mich auf dem Laufenden«, verlangte Forsberg.
»Übertreib es nicht, Forsberg«, bellte Gulldén, und dann war das Gespräch zu Ende und Forsberg sah sich plötzlich in der Situation, in einem fremden Bademantel in einer fremden Wohnung zu sitzen, zu mehr oder weniger untätigem Warten verurteilt. Ich könnte ja mal nach diesem Wäschetrockner suchen, dachte er, als sein Handy Laut gab. Eine unbekannte Nummer.
»Forsberg!«
»Hier spricht Leander Hansson. Ichwir müssen Sie dringend sprechen.«
Der Vogel! Hatte es offenbar nicht lassen können, die Eltern von Lucie zu benachrichtigen, noch ehe man ein Ergebnis aus Kopenhagen hatte. Wie konnte sie nur? Wollte sie sich bei Leander Hansson einschleimen? Das Letzte, was man jetzt gebrauchen konnte, waren hysterische Eltern, die alle fünf Minuten wissen wollten, ob es etwas Neues gebe. Na warte, Selma Valkonen, das wird ein Nachspiel haben!
»Kommissar Forsberg?«, drang Hanssons Stimme zu ihm durch. »Sind Sie noch dran?«
»Ja«, sagte Forsberg.
»Können wir uns treffen? Aber wenn möglich nicht im Polizeipräsidium.«
Dieser Wunsch kam Forsberg sehr gelegen. »Können Sie ins Linnéviertel kommen?«, fragte er.
Ans Heiraten hatte Lillemor nur ein einziges Mal gedacht: als sie Jören kennenlernte. Die Winterzeit hatte sie häufig in warmen Gegenden verbracht, aber den schwedischen Sommer erlebte sie fast immer in ihrem Sommerhaus auf der Schäreninsel Smögen. Das Haus stand am Rand einer einsamen Bucht mit Blick auf das offene Meer. Lillemor hatte es in jungen Jahren gekauft, um einen ruhigen, inspirierenden Platz zum Schreiben zu haben. Es war ihr Refugium, ihr geheimer Ort, den der Geier nicht findet.
An einem Sommerabend hockte ein Mann auf einem Felsen und zeichnete, während am Horizont ein dunkelschwarzes Gewitter mit leuchtenden Rändern aufzog. Lillemor stand am Fenster und beobachtete ihn durch ihr Fernglas und was sie sah, gefiel ihr: sein gebräuntes Gesicht, der harmonische Körperbau, die leicht verfilzten, blonden Locken. Sie legte das Fernglas hin, zog sich das blaue Sommerkleid an und stakste über die Felsen auf ihn zu. Grün-goldene Augen. Ein breites Lächeln und ein Grübchen am Kinn.
Sie hatten noch keine zwei Sätze gewechselt, da frischte der Wind auf, Blitze erhellten das Wolkengebirge und die ersten Tropfen zerplatzten
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