Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
würden eintreten, Atemnot, der Verlust der Sinne und schließlich würde sie ins Koma fallen und sterben. Und das alles sehr wahrscheinlich noch vor ihrem dritten Geburtstag.
Lillemor zog mit Marie zurück auf die Insel, in ihr Sommerhaus. Sie wollte allein sein mit ihrem Kind. Was sollte sie auch in der Stadt? Marie würde kein Babyschwimmen brauchen, keine Zoobesuche, kein Kindertheater und keine Begegnungen mit anderen Kindern im Park. Sie brauchte Medikamente, die ihr die Schmerzen nahmen, und Apparate, die ihr beim Atmen oder beim Schlucken halfen. Das war nichts, worüber man sich mit anderen Müttern am Spielplatz unterhalten konnte. Zu furchtbar, um es mit Freunden teilen zu können. Die Gegenwart eines todgeweihten Kindes bereitete den Menschen Unbehagen und machte ihnen Angst, das wusste Lillemor, ohne es ausprobieren zu müssen.
Sie erzählte niemandem davon, nicht einmal Catherine. Sie lebte in einem erwartungslosen Zustand, was Marie betraf, und versuchte, sich in Gedanken auf den Tag X vorzubereiten, freilich ohne sich das Leben danach wirklich vorstellen zu können. Sie lernte, für den Moment zu leben, den heutigen Tag und den nächsten und den übernächsten. Sie las Marie Gutenachtgeschichten vor, sie machte mit ihr Spaziergänge am Meer, damit sie frische Luft atmen konnte. Lillemor erkannte, dass sie nicht mehr tun konnte, als ihre Tochter bedingungslos zu lieben für die Zeit, die sie miteinander hatten, und sie dann gehen zu lassen.
Eine Viertelstunde später standen Tinka und Leander Hansson vor der Tür. Obwohl ihr Atem ruhig ging, wirkten die beiden abgehetzt und rochen, als hätten sie den Abend an einem Lagerfeuer verbracht. Allerdings war Leander Hansson in schwarzer Hose, weißem Hemd und einem Sakko aus einem feinen italienischen Zwirn dafür nicht passend angezogen. Seine Frau schon eher: schwarzer Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhe waren für Tinka Hansson, deren zurückhaltende Eleganz Forsberg noch gut in Erinnerung hatte, ungewohnt salopp. Allerdings, sah Forsberg ein, war er gerade nicht in der Position, sich über die Kleidung seiner Besucher zu mokieren.
»Herr Kommissar, ich möchte mich entschuldigen, dass wir in Ihren Feierabend platzen«, sagte Tinka Hansson und musterte dabei mit ganz leicht hochgezogenen Augenbrauen und einem spöttischen Lächeln im Mundwinkel Forsbergs Outfit, das noch immer nur aus Amundsen bestand. Der Trockner brauchte noch ewig und das Föhnen der feuchten Cordhose hatte nicht viel gebracht.
Er bat sie in die Küche. Sir Henry hatte er vorübergehend in Selmas Zimmer verbannt. Er bot an, Kaffee zu kochen, ohne eine Ahnung zu haben, ob es überhaupt welchen gab, aber beide wollten nur ein Glas Wasser. Dann waren die Höflichkeiten ausgetauscht, und eine innere Stimme sagte Forsberg, dass es klug wäre, erst einmal seine Gäste reden zu lassen. Wenig später beglückwünschte er sich zu diesem Entschluss. Außerdem leistete er bei Selma stumme Abbitte dafür, dass er sie im Geist der Profilierungs- und Klatschsucht bezichtigt hatte. Nein, das Paar wusste nichts über die neueste Entwicklung in Sachen Lucie. Stattdessen konnte Leander Hansson mit einer Geschichte aufwarten, bei der Forsberg die Haare zu Berge gestanden hätten, wären sie nicht gerade erst Opfer des türkischen Friseurs geworden. Nach jedem zweiten Satz war der Kommissar in Versuchung, sie zu unterbrechen und zu fragen, warum sie ihn nicht von Anfang an mit einbezogen hatten, aber er beherrschte sich und beschränkte sich auf sachdienliche Fragen wie: »Was für eine Pistole war das?«
»Eine Glock 17.«
Eine Glock 17 . Ein weit verbreitetes Modell.
Jetzt sprach Tinka Hansson.
»Und dann kam die SMS mit dem Zielort Dansholmen, also dort, wo schon der Brief und der Schuh gelegen haben.«
Dansholmen. Forsberg kannte die Gegend. Lieblich, fast malerisch, aber um diese Jahreszeit wahrscheinlich auch recht einsam.
»Selbstverständlich wollten wir niemanden erschießen«
Selbstverständlich? Forsberg überlegte, wie er wohl reagieren würde, sollte jemand dasselbe Angebot an ihn richten. Einen Menschen töten, um Annika zurückzubekommen. Er würde es zumindest in Erwägung ziehen. Aber das hatten die Hanssons sicherlich auch getan.
»Andererseits wollten wir aber auch wissen, wer das Opfer ist, um dann vielleicht eine Spur zum Täter zu bekommen«, sagte Leander Hansson. »Wir konnten ja nicht ahnen, dass es sich ausgerechnet um Eva Röög handelt.«
»Was?!«
»Eva Röög,
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