Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
sie ist meine größte und zuverlässigste Einnahmequelle. Ich wollte es mir mit ihr auf keinen Fall verscherzen. Also habe ich den Verlag hingehalten, und zum nächsten Jahr klappte es dann ja auch.«
»Das heißt, sie tauchte erst nach einem Jahr wieder auf aus der Versenkung?«
»Ja. Anfang 2007. Jedenfalls schickte sie mir im Februar oder März das fertige Manuskript und wir telefonierten und verabredeten ein Treffen. Ein paar Wochen später kam sie zu mir in die Agentur. Ohne das Kind. Sie war noch nicht wieder vollkommen die Alte, aber ich war froh, dass sie wenigstens wieder arbeitete.«
»Sie war also verändert«, hielt Selma fest. »Inwiefern?«
»Mager war sie geworden, hatte Falten bekommen, und sie wirkteso gedämpft. Als hätte sie Tranquilizer genommen oder etwas Ähnliches. Sie war auch ungewohnt distanziert. Wir redeten nur übers Geschäft, alles andere blockte sie ab. Und sie hatte so eine Aura – entschuldigen Sie das dumme Wort –, aber sie strahlte etwas aus, für das ich hinterher nur ein Wort fand: Traurigkeit.«
Trauer, dachte Selma. Tote betrauern.
»Wann haben Sie Lillemors Kind nach diesem Treffen wiedergesehen? Möglichst genau bitte.«
Catherine Tjäder musste nicht lange nachdenken.
»Im April 2008. Marie war knapp drei. Ein hübsches kleines Mädchen, und sie sah Lillemor auch ähnlich. Zumindest fand ich das. Und Lillemor sah auch wieder besser aus als im Jahr zuvor. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen« Sie schüttelte den Kopf.
Selma griff in ihren Rucksack und zeigte der Literaturagentin das Foto von Lucie, das nach ihrem Verschwinden durch die Presse gegangen war, auf dem Bildschirm ihres Notebooks.
»Sah Marie damals diesem Mädchen ähnlich?«
Frau Tjäder betrachtete das Bild.
»Die Augen vielleicht. Aber Marie hatte dunklere Haare und sie waren glatt. Derselbe Farbton wie Lillemor. Haselnussbraun.«
Haselnussbraun, dachte Selma und fragte sich, wie man eine Dreijährige dazu kriegte, sich die Haare färben zu lassen. Wenn Wilma die Haare nur gewaschen bekam, wusste es das ganze Haus. Lucie war im April 2008 erst zweieinhalb gewesen, fiel Selma ein.
»Sie sagten, ›kleines Mädchen‹. Sah Marie denn aus wie eine Dreijährige?«
Die Agentin zuckte die Achseln.
»Ich weiß es nicht. Tut mir leid, ich kenne mich mit Kindern nicht aus. Ich kann eine Zweijährige und eine Dreijährige nur dann auseinanderhalten, wenn ich sie nebeneinander sehe.«
»Geht mir auch so«, gestand Selma und fragte: »Wo war dieses Treffen mit Marie?«
»In Bologna. Ich war dort zur Kinderbuchmesse, die ist immer Ende März, Anfang April. Lillemor wohnte zu der Zeit in Rom – zumindest erzählte sie mir das. Sie hat dort eine Wohnung. Im Jahr darauf zog sie zurück nach Schweden, nach Stockholm. Sie wohnte ungefähr ein Jahr lang dort. In der Zeit sah ich sie drei oder vier Mal, auch mit der Kleinen. Und danach traf ich sie und das Kind erst wieder vor einem halben Jahr. In Kopenhagen. Dort hat sie zuletzt wieder gewohnt, ich hatte dort zu tun, also rief ich sie an. Sie lud mich zu sich nach Hause ein, wir tranken Kaffee, Marie war auch da. Es schien allen beiden gut zu gehen.«
»Wo ist diese Wohnung?«, fragte Selma, die plötzlich merkte, dass ihr das Herz bis zum Kehlkopf schlug.
Catherine Tjäder seufzte schwer. Anscheinend dämmerte ihr gerade, dass sich auch in ihrem Leben etwas ändern würde, sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten. Und nun sah sie sich gezwungen, ihren Goldesel ans Messer zu liefern.
»Muss ich das beantworten?«, fragte sie unglücklich.
Selma überlegte: bluffen oder die Karten auf den Tisch?
»Nein«, sagte die Kommissarin. Sie stand auf und trat ans Fenster. Von hier aus hatte man einen guten Blick über den Kungstorget. Man konnte sogar die Stelle sehen, an der Lucie entführt worden war.
»Schon gut«, sagte Catherine Tjäder und nickte resigniert.
Das Telefon vibrierte, als Forsberg gerade versuchte, den Pizzakarton in den vollen Mülleimer zu stopfen. Er ließ es sein und schaute auf das Display. Der Vo… Selma. Er nahm ab.
»Selmaich entschuldige mich. Es warEs war überhaupt nicht abwertend gemeintwirklich nicht. Außerdem sind Vö… Vögel schöne und kluge Tiere«
»Ich hab die Adresse von Lillemor Ahlborgs letzter Wohnung«, durchbrach Selmas Stimme sein Gestotter. »Kopenhagen, Århusgade 14, in der Nähe des Fælledparken in Østerbro.«
Ein, zwei Sekunden vergingen.
»Okay«, sagte Forsberg, der das Gefühl
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