Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Sigrun. Letztere rieb sich noch immer frierend die bloßen Oberarme.
»Möchtest du mit uns zurückfahren?«, fragte Leif.
»Nein, ich will noch das Grab meines Vaters besuchen.« Er war seit sechs Jahren tot und Eva vermisste ihn. Dennoch kam sie selten hierher, der Friedhof war nicht der Ort, an dem sie ihm nahe war.
»Was wollte Marta denn von dir?« Leifs Frage kam einen Tick zu beiläufig daher, und Eva musste innerlich grinsen. Garantiert hatte er sich während der gesamten Andacht den Kopf zerbrochen, wieso Eva vorne sitzen durfte, bei der versammelten Prominenz. Und jetzt redete die Witwe auch noch vertraulich mit ihr, während sie Leif vor einigen Tagen abgewiesen hatte, als er sie zu Hause aufgesucht und um ein Interview gebeten hatte. Jedenfalls war er ziemlich mies gelaunt von dort zurückgekehrt.
»Sie hat mir nur gesagt, dass ihr mein Nachruf gefallen hat.« Eva sah keine Notwendigkeit, den anderen ihre Beziehung zu den Cederlunds zu erklären. Sie konnte gut darauf verzichten, dass in der Redaktion demnächst das Gerücht umging, sie hätte ihre Stelle vor allem durch Vitamin B bekommen.
»Da siehst du, wie gut meine Entscheidung war, dich mit der Aufgabe zu betrauen«, sagte Leif, und Eva machte sich keine Illusionen darüber, dass er das nicht ernst meinte.
»Kennt ihr euch denn, du und Dag Cederlund?«, bohrte nun Fredrika nach. »Ihr habt so vertraut ausgesehen.«
Verdammt! Nicht nur, dass Fredrika mal wieder ein unsensibles Trampeltier war, sie hatte zudem auch noch Ohren wie ein Luchs. Aber warum war es eigentlich gar so interessant, worüber sie mit Marta sprach und woher sie Dag kannte? Noch während sie sich den Röntgenblicken ihrer Kollegen ausgesetzt sah, bemerkte sie vor dem Kirchenportal Dag Cederlund im Gespräch mit Chefredakteur Petter Hinnfors. Ich Idiotin! Natürlich war es wichtig, wer gut mit Dag und Marta Cederlund konnte und wer nicht. Dag erbte wahrscheinlich den Firmenanteil seines Vaters. Er oder Marta.
»Wir waren mal auf derselben Schule«, erklärte Eva. »Ehrlich gesagt, kann ich mich aber kaum noch an ihn erinnern.«
Als Selma Valkonen aus der Straßenbahn stieg, kämpfte sich die Sonne gerade durch die Wolkendecke, aber das machte die Sache auch nicht besser. Hier zeigte sich das andere Gesicht Göteborgs, dies war die Stadt der Ausfallstraßen, Billigläden, Automatenspielhöllen und Wohnsilos. Hier lebten Niedriglöhner, Leiharbeiter, Illegale, Halblegale und Kriminelle, das Treibgut der Gesellschaft, das Europa an seinen Rändern ausspuckte und in die Vorstädte spülte.
Da Valeria an einem Feiertag, Mariä Himmelfahrt, verschwunden war, war Selma nicht im Dienst gewesen, und Forsberg – typisch! – hatte es nicht für nötig gehalten, seine neue Mitarbeiterin anzurufen.
Er hatte Selma den Weg beschrieben. Gerade ging sie an einem Spielplatz mit einem rostigen Klettergerüst vorbei. Der Sandkasten sah aus wie ein überdimensionales Katzenklo. Kein Kind spielte darin, es waren überhaupt nirgends Kinder zu sehen, nur drei Halbwüchsige, die rauchend um einen Motorroller herumstanden und ihr abschätzige Blicke zuwarfen. Eine Sekunde lang hatte Selma die Vorstellung, dass die Menschen hier nicht mehr wagten, ihre Kinder im Freien spielen zu lassen, aber dann fiel ihr ein, dass sie wahrscheinlich noch in der Schule waren oder im Kindergarten. Dann stand sie vor dem monströsen Wohnblock in der Önskevädersgatan, fand den richtigen Eingang und klingelte sich ins Haus. Die Wände des Treppenhauses waren in einem kranken Gelb gestrichen, das förmlich nach Schmierereien und Graffitis schrie, und die Bewohner waren dem Ruf eifrig gefolgt. Neben den üblichen anatomischen Zeichnungen fanden sich viele arabische und russische Schriftzüge. Am Aufzug hing ein Schild außer Betrieb , aber Selma hätte ohnehin die Treppe genommen. Der Aufstieg bis zum fünften Stock hinauf erwies sich als abwechslungsreich. Unten und im ersten Stock stank es nach Zigarettenrauch, in der zweiten Etage nach vollen Windeln, im dritten Stock hatte man Bier verschüttet, der Boden klebte, und im vierten wurde etwas zu scharf angebraten. Der Geruch der Armut, dachte Selma und verscheuchte ein paar Bilder aus ihrer Jugend.
Die Klingel schien nicht zu funktionieren, also klopfte Selma an die Tür, erst sachte, dann etwas heftiger, woraufhin Oxana Bobrow öffnete und sie aus mascaraverschmierten Waschbärenaugen anstarrte. Ein Morgenmantel aus einer rosaroten Kunstfaser umhüllte ihre
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