Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Gäste nach Leander Hansson absuchte. Er war nicht hier, warum sollte er auch?
Eine Pastorin bemühte sich Trost zu spenden und verwies auf das ewige Leben. Auf Cederlunds Selbstmord ging sie nur flüchtig ein, indem sie feststellte, man wisse nicht, was ihn dazu veranlasst habe.
Die Rede berührte Eva nicht allzu sehr, umso erstaunter war sie darüber, dass einige der Anzugträger Tränen in den Augen hatten. Ein hohes Tier der Stena-Line schniefte sogar recht hemmungslos vor sich hin. Weinten sie wirklich um Cederlund? Oder war es nur die traurige Stimmung, die sie melancholisch machte und über eigene Kümmernisse nachdenken ließ?
Im Anschluss an die Predigt hielt Chefredakteur Petter Hinnfors eine seiner grauen Reden, gefolgt vom Leiter des Kinderbuchverlags und einem Fernsehboss. Dann trat der Sohn des Verstorbenen ans Mikrofon. Dag Cederlund dankte den Menschen, dass sie heute hier waren, und schilderte Magnus Cederlund in Form einiger Anekdoten als strengen, aber liebevollen Vater, ohne den er, Dag, heute nicht das wäre, was er war.
Was er war . Er war Wirtschaftsprüfer beim Finanzamt. Kein schlechter Beruf, nichts Ehrenrühriges, aber auch nicht gerade eine Traumkarriere für einen Millionärssohn.
Was für ein Schauspieler!, dachte Eva, als Dag seine Rede beendet hatte.
Dag war neununddreißig, ein Jahr jünger als sie, und als Kind war er für sie wie ein kleiner Bruder gewesen. Nahezu täglich hatte er bei ihnen im Garten oder im Haus gespielt. Nur wenn Evas Freundinnen zu Besuch gekommen waren, hatten sie ihn weggeschickt. Dann stand er am Zaun wie ein trauriger Hund, sogar wenn es regnete oder schneite. Manchmal hatten sie sich dann erbarmt, ihn wieder hergewunken und ihn als ihren Diener mitmachen lassen. Dag hatte Eva vergöttert und alles getan, was sie sagte. Heute, dreißig Jahre später, schwante es Eva, dass sie das ganz schön ausgenutzt hatte. Fast immer war Dag bei ihnen gewesen, selten umgekehrt. Spielten sie doch einmal im Haus der Cederlunds, dann schwänzelte Marta ständig um sie herum und achtete darauf, dass sie nichts beschädigten oder schmutzig machten. Magnus Cederlund sah man wenig, aber wenn er nach Hause kam, dann schickte Marta Eva immer sofort weg.
»Der arme Junge tut mir leid«, hatte Evas Mutter oft gesagt, und ihr Vater hatte Cederlund einen Tyrannen genannt. Lange Zeit wusste Eva nicht, was sie damit meinten. Das Wort Tyrann verstand sie nicht, aber es klang nach nichts Gutem. Sie selbst hatte Dags Vater eigentlich ganz okay gefunden. Jedenfalls netter als Marta mit ihrem Zitronengesicht.
Eva war neun oder zehn, als sie aus dem Garten Wäsche hereinholte und aus dem Nachbarhaus Geschrei und Schläge hörte. Doch als sie ein paar Tage später davon anfing, verschloss sich Dag wie eine Auster. Von da an hatte sich Eva häufiger zwischen den Wäschestangen herumgedrückt, wohlig schaudernd im Bewusstsein, etwas Verbotenes zu tun.
Fünf Jahre später war Eva von der Schule nach Hause gekommen und hatte Marta Cederlund mit ihrer Mutter am Küchentisch sitzen sehen. Eva wusste damals nicht, was sie mehr schockierte: die Anwesenheit der Nachbarin, die vorher noch nie in ihrem Haus gewesen war, oder die Tatsache, dass sie weinte. Sie war nicht in Tränen aufgelöst, aber ihre Lider waren gerötet und darunter glitzerte es verdächtig. Dag war ausgerissen. Ob Eva wüsste, wo er sei.
Eva und Dag hatten den engen Kontakt zueinander mit fortschreitender Pubertät verloren, aber sie waren nach wie vor auf dasselbe Gymnasium gegangen, und natürlich hatte Eva dort so einiges mitbekommen. Sie sagte, sie hätte keine Ahnung. Am nächsten Morgen hatte Cederlunds dunkle Limousine vor ihr an der Bushaltestelle gehalten. Eva war fünfzehn und noch wenig selbstbewusst. Als er sie freundlich bat, einzusteigen, hatte sie nicht den Mut gehabt, Nein zu sagen, trotz der Angst vor seinen stechenden Augen unter den mächtigen Brauen, und sie hatte es ganz deutlich gespürt, dass sich hinter seinem Leguanlächeln etwas verbarg, etwas Dunkles, Gefährliches.
Ein Tyrann.
Als er sie schließlich wieder vor der Schule absetzte, hatte er erfahren, was er wissen wollte.
Dag wurde noch am selben Tag von einer Polizeistreife im Schlosswald aufgegriffen, wo er mit einer Horde Punks herumhing und Dosenbier trank. Eine Polizeistreife brachte ihn nach Hause.
Die Tage danach hatte Eva vergeblich nach Dag Ausschau gehalten und sich große Vorwürfe gemacht. Grün und blau geschlagen und mit
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