Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
ausgemergelte Gestalt, und sie roch nach altem Schweiß und einem billigen Parfum. Sie hatten sich bereits auf der Dienststelle gesehen, aber die Frau schien etwas Zeit zu brauchen, ehe sie Selma einordnen konnte. Dann, mit dem Erkennen, huschte ein gehetzter Ausdruck über ihr Gesicht.
»Valeria...?«
»Nein«, sagte Selma.
»Dann hau ab!«
Selma roch eine schwache Alkoholfahne im Atem ihres Gegenübers. Sie fragte, ob sie reinkommen dürfe, dabei stand sie praktisch schon im Flur der Wohnung und folgte jetzt der Frau, die in der Küche verschwand und Wasser aufsetzte. Offenbar war sie allein.
»Wo ist Ihr Baby?« Selma erinnerte sich, dass Forsberg einen zehn Monate alten Sohn erwähnt hatte.
»Freundin. Ich putzen, ich schlafen. Kann nicht kommen Polizei.«
»Verstehe«, sagte Selma. »Name und Adresse dieser Freundin?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Kannte Valeria diese Freundin?«
»Weiß nicht.«
Selma sah ihr an, dass sie log. Sie sah es den meisten Leuten an. Die Farbe ihrer Stimme veränderte sich dann. Oxana Bobrows Stimme war eigentlich lehmigbraun, aber nun gerade fahlgelb wie Kamillentee. Selmas Veranlagung, die Farben der Töne zu sehen und Bilder zu hören oder manchmal auch zu schmecken, war oft verwirrend, half aber bei Befragungen und beim Kartenspielen. Pokerface – geschenkt! Die Stimme war es, die die allermeisten Leute verriet. Es sei denn, sie glaubten ihre Lügen selbst.
»Hören Sie, es interessiert mich nicht, ob Ihre Freundin vielleicht illegal im Land ist oder schwarzarbeitet oder sonst was Krummes macht. Hier geht es um Ihre Tochter. Also: Name, Adresse.« Selmas Tonfall signalisierte, dass sie auf einer Auskunft bestehen würde.
»Janne Siska, zweiter Stock«, quetschte Frau Bobrow hinter zusammengepressten Lippen hervor. Sie nahm ein Glas Instantkaffeepulver aus dem Schrank. Oxana Bobrow war zweiunddreißig, aber ihre Bewegungen wirkten steif und langsam, als müsse sie sich durch eine zähe Masse bewegen, und ihr Gesicht sah eher wie das einer verlebten Vierzigjährigen aus.
»Kaffee?«, fragte sie.
Selma nickte und Oxana Bobrow füllte Pulver in zwei Henkelbecher und goss heißes Wasser darauf. Dann sank sie auf einen Stuhl und starrte dumpf auf den rissigen Belag des Küchentischs.
»Was hat Valeria gesagt, wo wollte sie an dem Nachmittag, als sie verschwand, hingehen?«
»Bahar. Ich sagen Polizei!«, antwortete sie müde.
»War Bahar auch mal hier?«
Sie nickte. »Aber Valeria will immer nach Bahar.«
»Warum?«
Sie hob die Tasse an den Mund, zuckte aber zurück, weil der Kaffee noch zu heiß war.
»Hier Baby. Kein Platz. Bahar viele Sachen für Spielen. Kommen...« Sie ging über den Flur ins Kinderzimmer. Ein schmales Bett, ein Schrank aus Holzimitat, ein Puppenhaus aus Plastik, an dem eine Seite eingerissen war. Der Rollladen hing schief vor dem Fenster. Neben dem Bett türmte sich ein kleiner Stapel Schulsachen. Einen Schreibtisch gab es nicht, auch kein Nachtschränkchen. Wo hatte Valeria ihre Schularbeiten gemacht? In der Küche? Die Wand neben dem Bett zierten zwei Bilder, wie Sechsjährige sie malen. Sie hingen schief, als hätte Valeria sie selbst dort mit Reißzwecken angebracht. Auf allen schien die Sonne. Ein Wald, ein Haus mit Dach und einem Schornstein und keinerlei Ähnlichkeit mit dem Block, in dem sie wirklich lebte. Nicht identifizierbare Tiere standen zwischen grünen Strichen und Pilzen und etwas, das wie kleine Bäume mit blauen Kugeln aussah. Beerensträucher, erkannte Selma. Blaubeeren. Vielleicht war Oxana Bobrow mit ihrer Tochter beim Beerensammeln gewesen, natürlich nicht zum Spaß, sondern für Geld. Ein See mit Fischen. Swartemossen? Kühe auf der Weide. Wo bekam das Kind Kühe zu sehen? Das andere Bild zeigte ein Flugzeug. In einem der runden Fenster sah man den Kopf eines Mädchens mit schwarzen Haaren und einem lachenden Mund.
Das Kopfkissen belagerten Plüschtiere und zwei Puppen mit verfilztem Kunsthaar und Plastikgesichtern, bei einer platzte die Farbe von den aufgemalten Augen ab.
Das Zimmer eines armen Mädchens. Nichts wies darauf hin, dass die Mutter auch nur versucht hätte, es irgendwie kindgerecht aufzuhübschen.
Gegenüber von Valerias Bett stand ein Kinderbett mit Holzgitter und daneben lehnte ein Brett an der Wand, das man über das Gitter legte, um das Baby zu wickeln. Frau Bobrow nahm einen Bären von Valerias Bett.
»Bahar. Geschenk.«
»Zum Geburtstag?«, fragte Selma.
Frau Bobrow verneinte und zuckte die
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