Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
natürlich das Fußballstadion, das die umliegenden Häuser zum Beben bringt, wenn mal richtig Stimmung ist. Das alles betrifft ihn nicht wirklich, er ist ein Medienmann, kein Baulöwe.«
Forsberg dachte nach. Ein Medienmann. Inhaber einer Zeitung und eines Kinderbuchverlags.
»War das alles? Die Artikel, meine ich.«
Evas breiter Mund dehnte sich zu einem katzenhaften Lächeln.
»Zu Weihnachten erschien noch etwas über Rentiere in Lappland und wie sie heute gehalten und geschlachtet werden.«
»Zu Weihnachten?«
»Du weißt schon: Santa Claus, Rudi...«
»Das ist ekelhaft«, sagte Forsberg.
»Dazu sind wir Journalisten ja da: um im Dreck zu wühlen.«
»Könnte Martas Anliegen was mit dieser Kinderporno- oder Pädophilengeschichte zu tun haben?«
Sie zuckte die Achseln unter ihrem Jackett. »Das würde immerhin erklären, warum Marta die Sache nicht mit Dag besprechen wollte.«
Geschrei, Schläge . Mit vierzehn zu seiner Tante .
Sexuellen Missbrauch hatte sich Forsberg immer irgendwie leise vorgestellt. Aber vielleicht stimmte das gar nicht.
»Hattest du je den Eindruck... ich meine, damals, als sie neben dir wohnten...«
»Du meinst, ob er mich je angegrapscht hat?«
»Äh, ja.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war nie mit ihm allein.«
Forsberg dachte an die blonde Puppe, die im ersten Stock lag. Sie hatte neu ausgesehen, nicht wie eine vierzig Jahre alte Puppe.
Eva sah ihn zweifelnd an.
»Angenommen, da wäre was dran: So wie ich Marta kenne, würde sie doch alles daransetzen, dass kein Mensch etwas davon erfährt, und weiter schweigen, so wie all die Jahre.«
Martas Foto im Schlafzimmer. Eine Frau, die wie ein Mädchen aussah...
Eva zündete sich eine Zigarette an und schaute auf den See. »Willst du auch eine?«
»Nein. Ich werde sonst gleich wieder süchtig.«
»Sie hat mich immer weggeschickt«, sagte Eva. »Wenn wir bei Dag spielten und sein Vater nach Hause kam, dann musste ich gehen.«
Forsberg seufzte und betrachtete den metallisch schimmernden See, über dem noch immer ein schwerer, grauer Himmel hing. Das Haus stand auf einer Anhöhe, weiter unten sah man ein paar kleinere Ferienhäuser am Rand eines Wäldchens. Zwischen Wald und See erstreckte sich eine Wiese, auf der Rinder grasten. Das Gebiet um die großen Seen Vänern und Vättern besaß ein eigenes Klima, wärmer und feuchter als an der Küste und im Winter meistens neblig. Das nasse Herz Schwedens. Jetzt war die Luft lau und über der Landschaft lag ein Licht, das noch auf große Entfernung messerscharfe Konturen erkennen ließ. Alles lag vor ihm wie ein Scherenschnitt, nichts verlor sich im Dunst, so wie am Meer.
Valeria Bobrow war am 15. August verschwunden, und Cederlund hatte sich tags darauf erschossen. Zufall?
»Gib mir doch eine«, sagte er und inhalierte gierig.
Forsberg dachte an Martas kühle, gleichgültige Art, die ihm im Präsidium an ihr aufgefallen war. Andererseits schien sie sein Selbstmord und vor allen Dingen der Ort, den er dafür gewählt hatte, das Sommerhaus, überrascht zu haben. Vielleicht, überlegte Forsberg, hatte Cederlund seiner Frau einen erklärenden Abschiedsbrief mit der Post geschickt. Und der war erst später eingetroffen, nachdem er ihr die Todesnachricht überbracht hatte. Vielleicht hatte sie seinen Laptop verschwinden lassen. Vernichtet, versteckt. Hatte sie darüber mit Eva reden wollen? Sollte Eva ihr helfen, abzuwägen, was wichtiger war: der Ruf ihres verstorbenen Mannes, ihrer Familie, oder die Aufklärung des Todes eines kleinen Mädchens?
Es war windstill, der Rauch ihrer Zigaretten stand in der Luft wie ein dünner Vorhang. Forsberg dachte über die Geschwindigkeit von Postsendungen nach und über Postkarten ohne Text. Im Moment war es nur eine Hypothese, eine recht gewagte noch dazu. Aber Eva würde nicht lange brauchen, um zu denselben Überlegungen zu gelangen wie er. Allerdings würde sie sich hüten, ohne Beweise auch nur eine Silbe davon in der Zeitung zu schreiben. Dag Cederlunds Zeitung. Wenn sie mit einer solchen Nachricht vorpreschte und sich irren sollte, dann wäre ihre Karriere als Journalistin in diesem Land gelaufen.
Die Akte Valeria hatte während der letzten Wochen an Umfang zugenommen, aber kaum an brauchbarem Inhalt. Die Presse hatte den Fall auf kleiner Flamme am Köcheln gehalten, und viele Leute hatten sich gemeldet, die absolut sicher waren, das Kind erkannt zu haben. Achtzig Hinweise waren auf der Hotline eingegangen. Man hatte sie auf einem
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