Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
jedenfalls mehr als bei ihr zurzeit. Hinter der Spüle fehlten zwei Wandfliesen, in einer Kiste lagen drei leere Weinflaschen, eine Bierflasche und etliche Pizzakartons. Wie ein Säuferhaushalt wirkte das alles nicht, und auch im Dienst hatte sie an Forsberg noch nie eine Fahne gerochen. War er ein Quartalssäufer?
Ihr Vorgesetzter stand auf, schwankte bedenklich, bekam aber dann doch noch die Kurve zum Küchenschrank, wo er ein Glas herausnahm und es vor Selma hinstellte. Dann plumpste er wie Fallobst auf seinen Stuhl zurück.
»Hast du ein Bier?«, fragte Selma.
»Im Kühlschrank«, brummte Forsberg, der sich den Kraftakt des Aufstehens offenbar nicht noch einmal zumuten wollte. Auf dem Kühlschrank stand das Foto eines Mädchens mit dünnem blondem Haar, vollen Lippen und hohen Wangenknochen. Ein breites, nordisches Gesicht, die Ähnlichkeit mit dem Vater war durchaus vorhanden, nur hatte sie schräg stehende blaue Katzenaugen. Das Innere von Forsbergs Kühlschrank glich dem ihren, er kam wohl auch nicht zum Einkaufen. Aber immerhin fand Selma eine Flasche Heineken, setzte sich wieder hin, nahm einen großen Schluck und bemerkte dabei den Riss, der sich diagonal durch die Küchendecke zog und Verästelungen aufwies wie ein Gewitterblitz. Es war der Versuch unternommen worden, ihn zu kitten, aber an einigen Stellen war der frische Gips schon wieder herausgebrochen.
»Das Haus bröselt«, sagte Selma.
»Ich weiß«, sagte Forsberg.
»Was sind das für Karten?«
Statt einer Antwort stieß er einen tiefen, von Wodka und Tabak unterlegten Seufzer aus.
Es waren sieben Ansichtskarten: der Reichstag in Berlin, die Tower Bridge in London, irgendein großer Kuppelbau, die Ponte Vasco da Gama über den Tejo in Lissabon, eine Kirche, gotisch oder so ähnlich, ein Kanal, vielleicht eine Gracht in Holland, ein Garten mit Palmen.
»Darf ich sie lesen?«
Forsberg lächelte bitter, was Selma als Einverständnis interpretierte. Auf allen Karten stand die Adresse Forsbergs in klaren Druckbuchstaben, sonst nichts.
Forsberg schenkte sich noch einmal das Glas voll. »Vor fünf Jahren fing es an. Heute kam die aus Montpellier.« Er tippte auf die Karte mit dem Botanischen Garten. Gemessen an seinem Alkoholpegel kamen ihm die Worte ziemlich klar über die Lippen, fand Selma.
»Morgenmorgen hat Annika Geburtstag. Aber das ist sicher nur ein Zufall.«
Deshalb also die Sauferei. Er glaubte, dass die Karten von seiner Tochter sein könnten. Wie gemein, falls sie es war, nicht ein Wort darauf zu schreiben. Und wie hundsgemein erst, wenn jemand anderer sie schickte.
»Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, ob irgendeine verdammte Logik dahintersteckt, aber ich finde nichts.«
»Typische Sehnsuchts-Städte«, sagte Selma.
Forsberg stierte sie aus seinen alkoholfeuchten Augen an.
»Es sind Orte, bei denen die Leute sagen: ›Da wollte ich immer schon mal hin.‹«
»Nach Montpellier?«
»Südfrankreich«, meinte Selma. »Die Gegend. Über die Stadt weiß ich auch nichts.«
»Hm«, machte Forsberg. »Viele Studenten und ein uralter Botanischer Garten.«
»Studenten«, sagte Selma. »Es sind alles Universitätsstädte. Wie Göteborg.«
»Stimmt«, sagte Forsberg.
»Bist du denn mal in einer davon gewesen?«
»März 2006, fünf Tage Edinburgh. Stundenlang habe ich vor dieser verdammten Kathedrale rumgelungert. Ein schottischer Kollege sprach mich an, dachte, ich sei ein Taschendieb.«
Selma versuchte, dieses komische Gefühl in ihrer Brust mit einem großen Schluck Bier wegzuschwemmen.
»Amsterdam, ein Jahr später. Ich habe diese verdammte Gracht sogar gefunden. Es war Januar und es regnete Bindfäden. Ich stand wie ein Idiot herum, mit der Vorstellung, dass sie hinter einem der Fenster steht und mich beobachtet.« Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Na, wenigstens war ich mal in einem Coffeeshop.«
Selma fiel dabei ein, dass sie auch mal wieder Nachschub besorgen könnte.
»Die Karte aus Turin kam im August 2007, mitten im Fall Lucie Hansson. Aber ich wäre auch so nicht hingefahren.« Forsberg leerte sein Glas auf einen Zug und unterdrückte nachlässig einen Rülpser. »Auch ’n Schluck?«
Selma nickte, und Forsberg goss erst ihr Wasserglas zwei Fingerbreit voll mit Wodka, dann seines.
»Mochte sie so etwas?«
»Was?«
»Rätsel und verschlüsselte Botschaften.«
Er zuckte mit den Achseln.
»Was ist mit ihrer Mutter?«
»Benedikte. Wir sind zusammengezogen, sie hat studiert, ich war auf der
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