Töten Ist Ein Kinderspiel
Mutter-Sohn-Geheimnis?“
„Im Moment“, seufzte Nowak, „wäre ich tatsächlich froh, wenn ich wüsste, was Ben Mangold weiß.“ Sie stand auf und ging zum weit geöffneten Fenster: „Und wo er, verdammt noch mal, steckt!“
Mein Sohn,
an der Stelle, an der ich diesen Brief für Dich deponieren werde, wirst Du nach etwas anderem gesucht haben. Etwas, das ich gefunden und entsorgt habe. Zuerst habe ich es nicht geglaubt, dann war ich entsetzt und nun bin ich unendlich traurig – wenn Du es wirklich gewesen bist, dann haben wir, Deine Mutter und ich, viel falsch gemacht.
Wann hast Du herausgefunden, dass ich nicht Dein leiblicher Vater bin? Du musst Dich gefragt haben, warum wir Dir solange nicht die Wahrheit gesagt haben. Die Antwort ist einfach: Wir wollten Dir einen Menschen wie Estebán Valero ersparen. Er hat Deiner Mutter soviel angetan, dass wir beide davon – bis zum Schluss – überzeugt waren, dass Du zuerst erwachsen werden solltest, um selbst zu entscheiden, wie viel Du mit ihm zu tun haben willst.
In meinen Augen ist Valero kein guter Mensch, in den Augen Deiner Mutter war er ein Verbrecher; was er für Dich ist, wirst Du selbst entscheiden müssen. Aber du sollst wissen, dass er heute bei mir war, um mir zu sagen, dass er dich gesehen hat.
Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass Du fähig dazu wärst, einem anderen Menschen Gewalt anzutun. Du bist zu klug, die Kontrolle über Dich und Dein Handeln zu verlieren. Aber ich weiß auch, dass man in Ausnahmesituationen von sich selbst und seinen Moralvorstellungen abrückt. Wenn das passiert sein sollte, dann lass mich dafür gerade stehen. Mein Leben ist ohnehin bald zu Ende, Du hast Deines noch vor Dir, und ich wünsche mir nichts mehr, als dass Du etwas daraus machst.
Die Waffe mitsamt der Munition trägt nur noch meine Fingerabdrücke und sie wird der Polizei per Post zugehen. Dann wird man mich für Erikas Mörder erklären.
Wirf Du dein Leben nicht weg.
Ben hatte den Brief gefunden, kurz nachdem der Pflegedienst seinen Vater tot aufgefunden hatte und bevor die Polizei gekommen war. Er hatte die Sachen, die er mit zu Marco nehmen wollte, schon in seinen Rucksack gepackt, es fehlte nur noch die Pistole, die er hinten im Schrank unter seinen Jogginghosen versteckt hatte.
Ben war erschrocken, und nachdem er den Umschlag mit seinem Namen darauf aufgerissen und den Brief darin schnell überfolgen hatte, musste er sich setzen. Sein Puls raste, seine Gedanken überschlugen sich, ihm war schlecht.
Er hat gedacht, ich habe Mama umgebracht.
Langsam sickerte diese Gewissheit in die Schaltzentrale seines Gehirns und er konnte sie nicht fassen: Sein Vater hielt ihn für einen Mörder. Weil er eine Pistole in seinem Schrank gefunden und Valero geglaubt hatte. Und er konnte ihm nicht mehr erklären, dass er unschuldig war. Nie mehr.
Und alles wegen ihm. Dafür würde er büßen.
Vorsichtig löste Ben die schwarze Klebefolie von dem dicken Glas, das zwischen den beiden Studioräumen als Sichtfenster eingesetzt worden war. In dem Raum war alles ruhig, er konnte nichts erkennen. Er setzte sich hinter das Mischpult und legte links einen Schalter um. Sofort wurde der winzige Raum ihm gegenüber erhellt, und er sah Estebán Valero auf dem Boden kauern und sich die Hände vor die Augen halten. Sein T-Shirt war verknittert, seine Haare standen in alle Richtungen. Ben stellte mit Genugtuung fest, dass er mitgenommen aussah.
Er schaltetet das Mikrofon und die Lautsprecher ein und setzte die Kopfhörer auf.
„Ich habe Durst!“ Valeros Stimme so nah an seinem Ohr klang rau und brüchig.
„Wasser steht auf dem Regalbrett über der Tür.“
Der Blick des Mannes auf dem Boden hetzte nach links, sein Körper stolperte nach vorne, seine Arme reckten sich der Wasserflasche entgegen, griffen nach dem Plastik und zogen es an sich. Zitternd schraubte er den Verschluss auf und setzte an, in großen Schlucken zu trinken.
„Ich an deiner Stelle würde es mir einteilen.“ Bens Stimme drang dunkel durch die Lautsprecher. „Mehr gibt es nicht. In der Ecke steht ein Eimer. Pass auf, dass du nichts dreckig machst.“
Dann knipste er das Licht aus. Der Raum, in dem er selbst saß, war gelblich beleuchtet, Ben spiegelte sich in dem etwa fünfzig auf achtzig Zentimeter großen, rechteckigen Glasfenster, durch das Valero ihn zu erkennen versuchte.
„Bist du bescheuert? Lass mich raus! Was habe ich dir denn getan?“
„Um mir das zu erklären, bist du da
Weitere Kostenlose Bücher