Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
immer getan hatten und immer tun würden. Damals glaubte er noch, sein Leben unter Kontrolle zu haben, doch jetzt ahnte er, dass es so etwas wie Kontrolle nicht gab. Jetzt lebte er alleine und war auf sich selbst angewiesen.
Er sah auf seine Armbanduhr – erst vier Uhr morgens, noch verdammt viel Zeit, bis endlich die Schatten der Nacht verschwanden und der Tag mit seinem geregelten Ablauf begann. Er griff sich sein iPhone und wählte die Nummer seines Laufpartners Tony Braun, Chefinspektor der Mordkommission Linz.
„Hallo Tony, bin um sechs Uhr an unserem üblichen Treffpunkt am See, vielleicht hast du Lust, ein paar Runden zu laufen“, sprach er auf die Mobilbox.
*
Das Display des vibrierenden Handys leuchtete im Dunkeln. Automatisch griff Tony Braun danach, legte es aber nach einem kurzen Blick auf die Nummer zurück auf den Tisch und konzentrierte sich wieder auf die Bilder, die den Bildschirm seines Laptops ausfüllten. Er klickte eines der Fotos an. Links stand eine blonde Frau mit einem bunten Strandtuch um die Hüften gebunden, liebevoll den Arm um einen grinsenden Jungen gelegt. Rechts kniete er und hielt lachend eine Muschelkette zur Kamera. Seine schwarzen Haare waren vom Wind zerzaust. Im Hintergrund erstreckte sich eine weißgetünchte Clubanlage mit riesigen Palmen – irgendwo in Spanien, genau wusste er das nicht mehr. Ein anderes Bild zeigte ihn mit dem Kind auf den Schultern, der Junge krallte die Finger in seine Haare, beide strahlten glücklich in die Kamera. Er war schon immer ein Familienmensch gewesen, die Familie ging ihm über alles …
Braun lehnte sich auf der Couch zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, sah auf die leere Wand gegenüber. Selbst in der Dunkelheit bemerkte man den grauen Rand, der den Platz eines nicht mehr vorhandenen Bildes umgrenzte. Ein Bild, das Margot, seine Exfrau, ausgesucht hatte. Oder war es ein Filmplakat gewesen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Neben dem Laptop lag sein Schulterhalfter auf dem Tisch, der schwarze Griff der Pistole glänzte im diffusen Licht des Bildschirms. Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, die Pistole aus dem Halfter zu nehmen und einfach abzudrücken.
Schnell verdrängte er diesen Gedanken, warf die leere Bierdose zu den anderen auf den Boden, öffnete automatisch die nächste, hörte die Nachricht auf seiner Mailbox ab, drückte die Play-Taste der Fernbedienung und die Stimme von Nick Cave klang beruhigend leise aus den Lautsprechern. Mit der kühlen Bierdose in der Hand ging er barfuß zum Fenster und sah hinunter auf die leere Straße, auf der zu dieser Zeit keine Autos fuhren. Ja, am Morgen würde er mit Stefan Szabo den See entlanglaufen, sich total verausgaben, dann ins Präsidium fahren und sich in irgendeinen Fall verbeißen, um nicht ständig über sein Leben zu grübeln.
Stefan Szabo und er hatten sich bei einem Halbmarathon in Padua kennen gelernt und schnell festgestellt, dass sie beide aus der österreichischen Industriestadt Linz stammten. Ab diesem Zeitpunkt begannen sie, gemeinsam zu trainieren.
Jeder war auf seine Weise erfolgreich, denn beide verließen sich meistens auf ihre Intuition. Braun löste so manchen Fall, indem er einfach Indizien außer Acht ließ und alles aus einem anderen Blickwinkel betrachtete. Diese unkonventionelle Vorgangsweise war zwar bei seinen Vorgesetzten nicht sonderlich beliebt, aber die Erfolgsquote gab ihm Recht. Schnell durchlief er die Karrierestationen bei der Drogenfahndung, bis zu der Aktion, die ihn zur Mordkommission brachte und seinen Aufstieg zunächst beendete. Doch bald knüpfte er internationale Kontakte zu EUROPOL, wurde so etwas wie ein Star bei der Babyface-Operation. Diesen Namen hatte die Sonderkommission einem psychopathischen Mörder und Pädophilen gegeben, der auf Campingplätzen Kinder entführte, sie mit Einkaufstüten erstickte und mit Zeltheringen an den Boden nagelte. Mehrere Monate lieferte sich der Mörder von der Ostsee über die Karpaten bis nach Spanien ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, bis er schließlich auf einem Campingplatz am österreichischen Attersee gefasst werden konnte. Die Festnahme war zwar nicht der Verdienst von Tony Braun allein gewesen, aber sein unkonventioneller Ansatz hatte letztendlich zum Erfolg geführt. Er fand nämlich heraus, dass zum Zeitpunkt der Morde an den Tatorten immer Sportevents veranstaltet wurden. Er entwickelte spontan und ohne die Hilfe von Psychologen und Profilern ein
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