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Töwerland brennt

Töwerland brennt

Titel: Töwerland brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zweyer
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werden.
Ging auch einige Tage gut. Dann hat ein denkmalgeschütztes Nachbarhaus Risse
bekommen. Und jetzt ist Schluss mit Rammen. Wenn die Investoren gewusst hätten,
auf was sie sich einlassen …«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Das fing doch schon mit der Planung an. Einigen Juistern waren die
Firste des Gebäudes zu hoch. Die meckerten über das Bauamt. Dann das Theater
mit der Betonleitung.«
    »Über das Sie eben gesprochen haben?«
    »Genau. Dann die Rammen. Und was weiß ich noch. Ich habe gehört, es
laufen jede Menge Verfahren von den Verwaltungsgerichten. Investor gegen die
Gemeinde Juist.« Er schmunzelte. »Damit verdienen sich wenigstens die Anwälte
eine goldene Nase.«
    Rainer dachte an die Mandate ihrer Anwaltskanzlei und fragte sich,
ob ein Hotelneubau in Herne eigentlich auch so ein Aufsehen erregen würde.
    »Ich dachte immer, die Juister wollen so viel Touristen wie möglich
auf der Insel haben?«
    »Natürlich leben wir vom Tourismus. Nur darf der Tourismus den
Charakter der Insel nicht verändern. Sonst kommen vielleicht neue Gäste, aber
die alten bleiben weg. Damit wäre keinem gedient. Außerdem sind die Hoteliers
nicht gerade begeistert über die neue Konkurrenz. Andererseits sind neue
Urlauber auch neue Kunden.«
    »Für Sie zum Beispiel«, grinste Rainer.
    Er bekam keine Antwort, denn Deti hatte sich bereits anderen Gästen
zugewandt.
    Langsam füllte sich der Laden. Esch trank mittlerweile trockenen
Riesling statt Bier. Mit fortgeschrittener Uhrzeit wurde das Publikum in der Spelunke immer jünger und die Musik lauter. Als Rainer
seine Bestellungen wegen der Lautstärke nur noch wild gestikulierend aufgeben
konnte, hatte er genug. Er hatte manchmal ohnehin den Eindruck, nicht mehr ganz
so gut zu hören wie früher. Die Ausbildung einer veritablen Alterstaubheit
wollte er nicht dadurch beschleunigen, dass er sich noch länger diesem
Lärmpegel aussetzte. Er beglich seine Rechnung und ging schweren Schrittes in
sein Hotel.

15
    Herbst 1990
    Knut
    Trotz seiner mäßigen schulischen Leistungen schaffte Knut
den Hauptschulabschluss ohne zweiten Versuch und begann kurz darauf in einer
überbetrieblichen Ausbildungsstätte eine Kochlehre. Er war vom Heim in eine
Jugendwohngemeinschaft umgezogen, die stundenweise von einem Sozialpädagogen
betreut wurde. Mit ihm wohnten in dem Haus in einem Dortmunder Vorort sieben
weitere männliche Jugendliche, die alle ebenfalls Azubis waren.
    Knut blieb nur wenig von seiner Ausbildungsvergütung, da er einen
Eigenanteil zu den Kosten seiner Unterbringung beitragen musste. Trotzdem fühlte
er sich wie ein König, als er mit seinem ersten Geld an einem Samstagmorgen in
der Innenstadt einkaufen ging. Er erstand einen Walkman, einige CDs und eine Jeans, die er nach der Anprobe
sofort anbehielt. Besonders auf den Walkman war er stolz. Schließlich besaß er sonst nichts, das einen
materiellen Wert besaß. Kaum hatte er das Kaufhaus verlassen, legte er eine CD
in das Gerät, schob sich den Kopfhörer über die Ohren und schaltete ein. Die
Takte des Toten-Hosen-Songs Auf dem Kreuzzug ins Glück klangen für ihn so, als ob Campino direkt vor ihm stünde und nur
für ihn sänge.
    Er blieb fast das ganze Wochenende auf seinem Zimmer und hörte die
von seinen Mitbewohnern geliehenen Silberscheiben.
    Auch auf der Busfahrt zu seinem Arbeitsplatz am Montagmorgen behielt
er die Kopfhörer auf und nahm sie bei der Arbeit erst nach Aufforderung seines
Meisters schweren Herzens ab. Knut fieberte der Mittagspause entgegen, um sich
weiter an seiner Musik zu berauschen.
    Ihre Pause verbrachten die Auszubildenden in einem winzigen Raum,
der an die Küche grenzte. Ihre Ausbilder trafen sich in der Regel mit anderen
Kollegen in einem ihnen vorbehaltenen Bereich der Werkstätte, sodass die jungen
Leute unter sich waren.
    Heute waren sie zu viert. Einer von ihnen, Heinz, ging bereits auf
die zwanzig zu. Es war bereits sein dritter Versuch, einen Handwerksberuf zu
erlernen, und vermutlich seine letzte Chance. Heinz war wie Knut in Heimen groß
geworden und hatte in der Vergangenheit wegen kleinerer Delikte schon mehrmals
im Knast gesessen.
    Knut saß auf seinem Stuhl, weit zurückgelehnt, die Augen
geschlossen. Plötzlich stupste ihn jemand an und Knut riss die Augen auf. Vor
ihm stand Heinz, der ihm bedeutete, die Kopfhörer abzunehmen.
    Als Knut der Aufforderung nachkam, konnte Heinz seinen Frage loswerden:
»Wat hörze denn da?«
    »Sinéad O’Connor.«
    »Is dat nich die Tusse,

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