Töwerland brennt
ihr.
21
27. März 1992
Knut
Der Brief stammte von einem Anwalt und Notar aus der Stadt
Norden. Da stand:
Sehr geehrter Herr Tohmeier,
hiermit zeige ich an, dass ich die
Interessen eines im Oktober 1990 verstorbenen Mandanten vertrete. Dieser
Mandant, dessen Namen ich Ihnen nicht bekannt geben darf, hat mich beauftragt,
den Kontakt zu Ihnen auch über seinen Tod hinaus aufrechtzuerhalten.
Sicher werden Sie sich wundern, warum sich
mein Mandant für Sie und Ihr Leben interessiert. Um sein Verhalten zu erklären,
muss ich etwas weiter ausholen.
Mein Mandant lebte und arbeitete auf einer
Nordseeinsel und betrieb dort ein Hotel.
Im Sommer 1973 kam Ihre Mutter Claudia als
Saisonkraft auf die Insel und arbeitete im dortigen Betrieb der Familie. Mein
Mandant war damals knapp über vierzig, ihre Mutter zwanzig Jahre alt. Zwischen
beiden kam es während des Aufenthalts Ihrer Mutter im Hotel zu einvernehmlichen
sexuellen Kontakten.
Der Bus kam. Knut nahm das Schreiben und den Umschlag in die
linke Hand, zog mit der rechten seine Geldbörse hervor, nannte dem Fahrer sein
Ziel und legte, vor Aufregung zitternd, den Fahrpreis hin. Dann suchte er sich
einen einzelnen Platz im hinteren Bereich des Busses und las weiter.
Gegen Saisonende, im Oktober 1973, eröffnete
Ihre Mutter meinem Mandanten, dass sie von ihm schwanger sei und das Kind – wie
Sie sicher schon bemerkt haben, ist von Ihnen die Rede – auszutragen gedachte.
Um die Situation zu verstehen, müssen Sie
wissen, dass Nordseeinseln im Grunde kleine Dörfer mit nur wenigen Einwohnern
sind. Der Fehltritt meines Mandanten hätte sich sofort herumgesprochen und
seine gesellschaftliche Stellung geschmälert. Auch kam eine Trennung von seiner
Frau, mit der er zu diesem Zeitpunkt einen gemeinsamen Sohn hatte, nicht
infrage. Die dann zwangsläufig erfolgende Scheidung und die sich daraus
ergebenden finanziellen Konsequenzen hätten mit großer Wahrscheinlichkeit zu
einem Verkauf des Hotels geführt. Da sich der Betrieb seit drei Generationen im
Besitz der Familie befand, war eine solche Lösung für meinen Mandanten
undenkbar. Nachdem er sich seiner Gattin offenbart hatte, entschied sich mein
Mandant dafür, Ihrer Mutter ein Angebot zu machen: Entweder wollte er die
Kosten für einen Abort und einen anschließenden Erholungsaufenthalt übernehmen
und eine angemessene Entschädigung zahlen oder aber Ihrer Mutter monatlich
Unterhalt überweisen. Ihre Mutter hätte sich jedoch im Gegenzug zu striktem
Stillschweigen verpflichten müssen. Anscheinend verliefen die Verhandlungen
zwischen Ihren Eltern nicht so, wie es sich mein Mandant vorgestellt hatte. In
einem späteren Gespräch deutete er mir die Erwartungen Ihrer Mutter an, dass er
sich ohne Wenn und Aber zu seiner Vaterschaft bekennen und Sie als vollwertiges
Familienmitglied akzeptieren solle. Das aber lehnte er aus den oben schon
angeführten Gründen ab.
Ihre Mutter verließ daraufhin die Insel. Sie
hat mit Ihrem Vater nie mehr auch nur ein Wort gesprochen.
Knut standen Tränen in den Augen. Sein Vater, der hungrigen
Dschungelkindern Essen brachte und bei dieser Tätigkeit ums Leben gekommen war.
Diese Erzählungen, die er von seiner Mutter immer wieder gehört hatte. Wie oft
hatte er im Heim nachts wachgelegen und daran gedacht. Die Geschichte seines
Vaters hatte ihm Trost gespendet und die nötige Kraft gegeben, seine Situation
zu bewältigen. Dabei war alles nur erfunden! Eine Legende seiner Mutter.
Und sein leiblicher Vater? Ein gewissenloser Hotelbesitzer auf einer
Nordseeinsel! Knut ließ den Brief des Anwalts auf seinen Schoß sinken und
ballte die Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten.
Etwa zwei Jahre nach Ihrer Geburt hat mich
mein Mandant kontaktiert. Ich wurde beauftragt, die Adresse Ihrer Mutter zu
ermitteln und erneut einen Kontakt zwischen meinem Mandanten und ihr
herzustellen. Sie hat jedoch jede Form des Dialogs abgelehnt und auch die ihr
angebotene finanzielle Unterstützung zurückgewiesen. Daraufhin hat mich mein
Mandant angewiesen, einen Festbetrag treuhänderisch auf ein Notaranderkonto
einzuzahlen und für Sie zu verwalten. Später sind dann weitere monatliche
Zahlungen erfolgt. Nach dem traurigen Unfalltod Ihrer Mutter ist dann das Geld
überwiegend für die Kosten Ihres Heimaufenthaltes aufgebraucht worden. Aber Sie
werden eine diesbezügliche Aufstellung bereits erhalten haben. Gleichzeitig hat
mein Mandant verfügt, dass Sie mit Vollendung Ihres achtzehnten Lebensjahres
die
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