Töwerland brennt
war überzeugt, dass Altehuus jeden Moment
explodieren konnte. Und wenn das geschah, wollte er nicht unbedingt dabei, geschweige
denn die Ursache der Eruption sein.
»Also los. Raus mit der Sprache.«
Rainer begann zu erzählen, beschränkte sich jedoch auf die Fakten.
Er berichtete von den Limericks, seiner Durchsicht der Personalunterlagen und dem
Ergebnis von Cengiz’ Nachforschungen.
Altehuus zückte einen Notizblock. »Die Adresse dieses Tohmeier.«
Rainer nannte sie ihm.
»Und das Foto.« Er streckte besitzergreifend seine Hand aus.
»Ist auf meinem Zimmer. Aber ob
ich es so schnell finde …«
Der Juister erhob sich ein wenig und stützte sich mit beiden Händen
auf der Tischplatte ab. Ein leises Klirren war zu vernehmen. Der auf der Untertasse
abgelegte Löffel hatte sich verschoben und war gegen die Kaffeetasse gestoßen.
Altehuus beugte sich vor und raunte: »Wenn Sie Ihren Arsch nicht sofort
in Marsch setzen und das Foto holen, nehme ich Sie noch hier im Frühstückssaal
fest.«
»Weswegen?«
»Behinderung der Polizeiarbeit. Vertuschung einer Straftat. Mir
fällt, wenn ich nur lange genug nachdenke, bestimmt noch etwas ein.«
»Das wagen Sie nicht.«
Altehuus zeigte eine nicht sehr freundlich aussehende Grimasse.
»Wollen Sie es darauf ankommen lassen?«
Rainers Widerstand fiel im Bruchteil einer Sekunde zusammen. Nein,
er wollte nicht. Altehuus war wirklich zuzutrauen, seine Warnung in die Tat
umzusetzen. Und auf ein oder zwei Tage in der Zelle der Juister Polizeiwache
verspürte er nicht die geringste Lust.
»Ich hole es.«
»Bringen Sie auch gleich diese Briefe mit.«
»Die hat Harms.«
»Ist das wieder eines Ihrer Spielchen?«
»Nein. Lassen Sie sich doch einen Kaffee bringen. Mir bitte auch
noch einen. Nach meiner Rückkehr können wir ja unsere nette Unterhaltung ein
wenig fortsetzen.«
Altehuus schien über Eschs
lockeren Spruch nicht amüsiert.
Mit einem Schulterzucken verschwand Rainer. Wenig später war er das
Foto los. Und musste bei Altehuus’ Abschied die Erfahrung machen, dass der
ansonsten recht gemütliche Juister Beamte über ein umfangreiches Repertoire an
Drohungen verfügte.
Was soll’s, dachte er sich. Lass ich das Bild eben ein zweites Mal
ausdrucken. Zufrieden goss er Kaffee nach.
Auf seinem Zimmer fuhr er zunächst den Rechner hoch und sah im
E-Mail-Postfach nach. Cengiz’ Mail war nicht vorhanden. Rainer erinnerte sich,
sie gelöscht zu haben, nachdem er das Bild auf dem USB-Stick gespeichert hatte.
Um sein Postfach nicht mit dem riesigen Bildanhang zu überfrachten, hatte er
besonders gewissenhaft auch den elektronischen Papierkorb entleert.
Dann eben der Stick. Doch der fand sich auch nicht. Als er seine
Siebensachen zum dritten Mal auf den Kopf gestellt hatte, musste er sich
eingestehen, dass der Stick tatsächlich nicht da war.
Und dann fiel es ihm wieder ein. Als er das Foto bezahlen wollte,
hatte ihm der Betreiber des Internetcafés den Stick und das Blatt mit dem ausgedruckten
Bild ausgehändigt. Rainer hatte beides neben sich auf den kleinen Tisch gelegt,
um seine Geldbörse aus der Tasche ziehen zu können. Anschließend musste er es
versäumt haben, das Teil wieder einzustecken.
Im Internetcafé war um diese Zeit kaum Betrieb. Auf sein
Nachfragen erklärte ihm der Inhaber, den Stick nicht gefunden zu haben.
»Ein herrenloser USB-Stick? Sie sind vielleicht lustig. Hier treffen
sich überwiegend Computerkids. Die haben in der Regel immer Verwendung für
technisches Gerät. Was meinen Sie, wie lange so ein Teil liegen bleibt?«
Aber auch das stellte kein unüberwindliches Problem dar. Cengiz würde
helfen. Er half immer. Entweder hatte er die Datei noch auf dem Rechner oder er
würde das Foto, das ihm der Nachbar Tohmeiers
ausgehändigt hatte, neu einscannen.
34
Das Ehepaar Bartholdy
verbrachte seinen Urlaub schon seit Jahren auf Juist, hatte aber erstmalig vor
drei Tagen eine Wanderung ins Watt gewagt – unter fachkundiger Anleitung des
Wattführers Heino. Heute nun gedachten sie ihre dabei gewonnenen
Erkenntnisse umzusetzen, ohne Heino allerdings.
Sie starteten ihren Ausflug kurz nach Sonnenaufgang am östlichen
Rand des Ortes in der Nähe der Reitställe. Das Paar setzte sich dort auf die Deichkrone, zog die Wanderschuhe
aus und verstaute sie im Rucksack. Dann betraten sie das Watt, entfernten sich
aber auf ihrem Marsch nach Osten zunächst nicht weiter als hundert Schritte von
der Insel.
Nach etwa einer Stunde wurden sie mutiger und
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