Tohuwabohu
ansteckend wie tödlich sein müsse. Aber als er seine Temperatur gemessen hatte, stellte er fest, daß sie unter normal war.
»Merkwürdig«, dachte er, »sehr merkwürdig.« Und nachdem er gierig mehrere Zahnputzbecher Wasser in sich hineingegossen hatte, ging er in sein Zimmer zurück und stieg wieder in das Bett. Um fünf gab er jeden Gedanken an Schlaf auf, ging hinüber ins Badezimmer und nahm ein kaltes Bad. Immer noch im unklaren darüber, was wohl mit ihm nicht stimme, zog er sich langsam an. Er bemerkte, daß es im Zimmer irgendwie komisch roch, und einen Augenblick beäugte er argwöhnisch seine Socken. »So riecht es aber nicht«, sagte er sich, ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf.
Die Sonne war schon aufgegangen, und die Jacarandabäume leuchteten in ihrer Blütenpracht im Morgenlicht. Aber Kommandant van Heerden schenkte dem Blick aus seinem Fenster keine Beachtung. Die Vorhänge interessierten ihn viel mehr. Sie fühlten sich genauso wie die Laken an. Er befühlte sie noch einmal. »Das verdammte Zeug dehnt sich ja«, dachte er, und dann stellte er fest, daß auch die Laken elastisch waren. Er beroch sie genau, und nun erkannte er den Geruch. Die Laken und Vorhänge waren aus Gummi. Alles in dem Zimmer war aus dünnem, blauem Gummi.
Er machte den Kleiderschrank auf und befühlte die Anzüge und Kleider, die da hingen. Auch sie waren aus Gummi. Kommandant van Heerden setzte sich erstaunt aufs Bett. Noch nie in seinem Leben war ihm etwas Ähnliches begegnet. Seine alljährliche Bekanntschaft mit Gummi hatte ihn natürlich auf diese Begegnung kaum vorbereitet, und während er da saß, dämmerte ihm die Erkenntnis, daß das ganze Zimmer was ausgesprochen Sinistres an sich habe. Schließlich untersuchte er den Inhalt der Kommode und fand darin die gleichen Dinge. Hemden, Hosen, Strümpfe – alles war aus Gummi. In einer kleinen Schublade fand er mehrere Gummikappen und zwei Paar Handschellen. Ganz ohne Zweifel diente das Zimmer einem finsteren Zweck, dachte er, dann ging er hinunter, um etwas zu frühstücken.
»Wie geht’s dem Gefangenen?« fragte der Kommandant Sergeant de Haen, als er mit Toast und Kaffee fertig war. »Wirkt auf mich ziemlich durchgedreht. Redet die ganze Zeit von Tieren. Scheint zu denken, Gott ist ein Schäferhund oder ein Geier oder was weiß ich«, sagte der Sergeant. »Wird ihm auch nicht viel nützen. Wie viele Leute haben wir gestern verloren?«
»Einundzwanzig.«
»Einundzwanzig und einen Zulu-Koch. Also einundzwanzig ein Viertel. Wer einundzwanzig Polizisten abknallt, kann nicht so tun, als wäre er wahnsinnig.«
Sergeant de Haen war nicht überzeugt. »Wer einundzwanzig Polizisten abknallt und seine Brieftasche auf dem Schauplatz des Verbrechens liegenläßt, der muß nicht ganz dicht sein.«
»Wir machen alle Fehler«, sagte der Kommandant und ging nach oben, um mit seinem Kreuzverhör zu beginnen. Unten im Keller hatte der Bischof von Barotseland die Nacht an ein Rohr gekettet zugebracht. Er hatte noch weniger als der Kommandant geschlafen und war obendrein von vier Polizisten und zwei Hunden bewacht worden. In all den schlaflosen Stunden hatte er mit dem geistigen und moralischen Problem seiner schrecklichen Lage gerungen und war schließlich zu dem Schluß gelangt, daß er dafür bestraft werde, daß er nicht schnell genug aus dem Schwimmbecken gestiegen war. Eine Zeitlang hatte er auch die Möglichkeit erwogen, daß all das, was ihm anscheinend widerfuhr, nur ein Vorzeichen des Deliriums tremens sei, das er sich auf den Hals geladen hatte, als er eine Flasche schlechten Brandy auf einen Zug austrank. Als er schließlich auf die Füße gezerrt und die Treppe nach oben und den Korridor entlang ins Arbeitszimmer seines Vaters geschafft wurde, hatte er keinen Zweifel mehr, daß er unter Halluzinationen litt.
Kommandant van Heerden hatte sich für das Verhör des Gefangenen nicht zufällig Richter Hazelstones Arbeitszimmer ausgesucht. Sein untrügliches Gefühl für Psychologie hatte ihm gesagt, daß das Arbeitszimmer, das richterliche Strenge und die Erinnerungen an Jonathans Kindheit atmete, den Bischof so recht auf die scharfe Befragung vorbereiten werde, die der Kommandant mit ihm zu veranstalten gedachte. Er setzte sich hinter dem Schreibtisch in einen mächtigen Ledersessel und nahm eine Haltung und Miene an, die den Gefangenen, da war er ganz sicher, an seinen Vater erinnern werde. Zu diesem Zweck spielte er auch mit einem messingenen Miniaturgalgen
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