Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
helfen.»
«Der Gedanke ist ganz vernünftig, Harry», sagte ich, «aber Midori hat Recht. Und das nicht nur, weil ihr Vater sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, um die CD in seinen Besitz zu bringen. Wir wissen jetzt, wer alles hinter der CD her ist – Yamaoto, die CIA, die Keisatsucho. Vielleicht noch andere. Egal, wem wir die CD geben, wir hätten nach wie vor Probleme mit den anderen.»
«Das leuchtet mir ein», gab Harry zu.
«Aber dein Dynamitvergleich gefällt mir. Wie entschärft man Dynamit?»
«Man lässt es an einem ungefährlichen Ort detonieren», sagte Midori, noch immer mit Blick auf Harry.
«Genau», sagte ich.
«Bulfinch», sagte Midori. «Bulfinch veröffentlicht sie, und dadurch wird sie entschärft. Und genau das wollte auch mein Vater.»
«Wir geben sie ihm, ohne genau zu wissen, was drauf ist?», fragte Harry.
«Wir wissen genug», sagte ich. «Nach dem, was Bulfinch erzählt und Holtzer bestätigt hat. Ich sehe keine andere Möglichkeit.»
Er runzelte die Stirn. «Wir wissen nicht mal, ob er über die Möglichkeiten verfügt, sie zu dechiffrieren.»
Ich unterdrückte ein Lächeln, weil ich einen leichten Groll bei ihm verspürte: Da wollte ihm einer sein Spielzeug wegnehmen und das Codepuzzle vielleicht ohne ihn lösen.
«Wir können wohl davon ausgehen, dass Forbes über die entsprechenden Möglichkeiten verfügt. Immerhin wissen wir ja, wie scharf sie auf den Inhalt der CD sind.»
«Ich würde trotzdem gern noch mal versuchen, sie zu dechiffrieren.»
«Das wäre mir auch lieber. Aber wir wissen nicht, wie lange das dauern wird. Wir haben es schließlich mit einer ganzen Phalanx von Gegnern zu tun, denen wir nicht mehr lange entwischen können. Je eher Bulfinch die verdammte CD kriegt, desto eher können wir wieder ruhig schlafen.»
Midori wollte auf Nummer sicher gehen und sagte prompt: «Ich ruf ihn an.»
20
ICH HATTE Bulfinch nach Akasaka Mitsuke bestellt, einem der Vergnügungsviertel der Stadt, das in seiner Fülle von Hostessenbars nur noch von der Ginza übertroffen wird. Das ganze Gebiet wird von zahllosen winzigen Gässchen durchschnitten, von denen manche so eng sind, dass man sich nur seitlich durch sie hindurchquetschen kann. Die Zugangs- und Fluchtmöglichkeiten sind daher schier unbegrenzt.
Es regnete und es war kalt, als ich mit meinem GAG fertig war und die U-Bahn-Station Akasaka Mitsuke gegenüber dem Kaufhaus Belle Vie verließ. Auf der anderen Straßenseite, grotesk pink im Grau des Regens und des Himmels, ragte die wuchtige Schlachtschiffform des Akasaka Tokyu Hotels auf. Ich blieb stehen, um den schwarzen Schirm zu öffnen, den ich dabeihatte, und ging dann rechts die Sotobori-dori hinunter. Nachdem ich an der Citibank rechts in ein Sträßchen abgebogen war, gelangte ich schließlich auf die mit roten Backsteinen gepflasterte Esplanade Akasaka-dori.
Ich hatte noch über eine Stunde Zeit und beschloss, bei Tenkai-chi direkt an der Esplanade rasch einen Happen zu essen. Tenkai-chi, «der Erste unter dem Himmel», ist eine Restaurantkette, aber die Filiale an der Esplanade hat Charakter. Man kann mit ausländischen Währungen bezahlen, und an den braunen Holzwänden des Restaurants kleben Scheine und Münzen aus aller Welt. Außerdem wird dort unablässig Jazz gespielt, aufgelockert durch ein bisschen soften amerikanischen Pop. Und die weich gepolsterten Hocker, einige davon diskret in den Ecken, bieten eine gute Sicht auf die Straße vor dem Restaurant.
Ich bestellte Chukadon – chinesisches Gemüse auf Reis – und aß, während ich durchs Fenster die Straße beobachtete. Außer mir waren noch zwei Sarariman da, die verspätet Mittagspause machten und schweigend vor sich hin aßen.
Ich hatte Bulfinch gesagt, er solle um 14 Uhr in Akasaka Mitsuke von Hausnummer 3 aus im Uhrzeigersinn um den 19. Block herumgehen. Zu dem Block führten etliche Sträßchen, die wiederum jeweils von mehreren Seitenstraßen zu erreichen waren, so dass er nicht wissen konnte, wo ich wartete, ehe ich mich nicht bemerkbar machte. Und es war auch nicht schlimm, wenn er früher kam. Er würde einfach im Regen um den Block gehen müssen.
Um 13.50 Uhr war ich mit dem Essen fertig, bezahlte die Rechnung und ging. Den Schirm tief über dem Kopf, überquerte ich die Esplanade, ging zur Misuji-dori und bog dann in eine Gasse gegenüber dem Restaurant Buon Appetito im Block 19-3 ein, wo ich unter einem vorstehenden, verrosteten Wellblechdach wartete. Um diese Tageszeit und bei dem
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