Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
Liebesgeschichte.»
Ishikura?, dachte ich.
«Wie dem auch sei, dass wir Rain verloren haben, ist keine Katastrophe», fuhr Yamaoto fort. «Die Tochter stellt eine viel größere Gefahr dar: Nach ihr wird Ishikura Tatsuhiko suchen, und seine Chancen, sie zu finden, sind genauso gut wie unsere – vielleicht besser, wenn man bedenkt, wie schnell er uns in ihrer Wohnung zuvorgekommen ist. Und wenn Ishikura die CD findet, wird er wissen, was damit zu tun ist.»
Tatsu? Auch Tatsu sucht nach dieser verdammten CD? Das waren seine Leute in ihrer Wohnung?
«Keine Risiken mehr», sprach Yamaoto weiter. «Keine ungelösten Fragen. Wenn die Tochter auftaucht, wird sie sofort eliminiert.»
«Hai», erwiderten mehrere Stimmen im Chor.
«Solange die CD nicht gefunden oder ihre Vernichtung zweifelsfrei bestätigt wurde, wird uns auch die Eliminierung der Tochter leider nicht die gewünschte Sicherheit bringen. Es ist also an der Zeit, Ishikura Tatsuhiko ebenfalls aus der Gleichung zu entfernen.»
«Aber, Toushu», sagte eine Stimme, «Ishikura ist ein hohes Tier bei der Keisatsucho. So ein Mann lässt sich nicht einfach eliminieren, ohne dass das zusätzliche Probleme mit sich bringt. Außerdem ...»
«Ja, außerdem wird Ishikura in gewissen Kreisen zum Märtyrer werden, weil sein Tod seine eigenen Verschwörungstheorien erhärtet. Aber wir haben keine andere Wahl. Immer noch besser, als wenn ihm die CD in die Hände fällt, denn auf der sind hieb- und stichfeste Beweise. Aber Ishikuras Ableben muss auf jeden Fall natürlich aussehen, also strengt euch an. Wie absurd, dass uns der Mann, der diese Kunst in höchster Vollendung beherrscht, ausgerechnet jetzt nicht zur Verfügung steht, wo wir ihn am dringendsten brauchen. Also, lasst euch von ihm inspirieren, so gut ihr könnt. Raus mit euch.»
Das war alles. Ich nahm den Kopfhörer ab und sah Harry an. «Sendet die Wanze noch?»
«Bis die Batterie leer ist – in zirka drei Wochen. Ich zeichne alles auf.»
Ich nickte und begriff plötzlich, dass Harry aus dem Zimmer höchstwahrscheinlich Dinge hören würde, die ihm einiges über mich offenbaren mussten. Verdammt, schon Yamaotos Bemerkungen waren unmissverständlich, wenn man auf Draht war und den Zusammenhang kannte: Er hatte von der «seltsamen Ausgangslage» meiner emotionalen Verbindung zu Midori gesprochen und es «absurd» genannt, dass ihnen ausgerechnet der Mann nicht mehr zu Diensten war, der «in höchster Vollendung» die Kunst beherrschte, Menschen eines vermeintlich natürlichen Todes sterben zu lassen.
«Ich denke, Midori sollte die Aufnahme nicht unbedingt hören», sagte ich. «Sie weiß genug. Ich will nicht, dass sie ... noch mehr belastende Informationen bekommt.»
Harry neigte den Kopf und sagte: «Ich verstehe vollkommen.»
Und plötzlich wusste ich, dass er es wusste.
«Es ist gut, dass ich dir vertrauen kann», sagte ich. «Danke.»
Er schüttelte den Kopf. « Kochira koso», sagte er. Gleichfalls.
Es schellte an der Tür. Harry drückte den Knopf der Gegensprechanlage, und Midori sagte: «Ich bin's.»
Harry betätigte den Türöffner, und wir nahmen unsere Positionen ein, diesmal ich an der Tür und Harry am Fenster. Eine Minute später sah ich Midori mit einem rechteckigen Pappkarton im Arm über den Flur kommen. Als sie mich sah, strahlte sie übers ganze Gesicht und beschleunigte ihren Schritt. Sie trat in den Genkan und umarmte mich rasch.
«Jedes Mal, wenn ich dich sehe, siehst du noch schlechter aus», stellte sie fest, als sie zurücktrat und den Karton auf den Boden stellte. Es stimmte: Mein Gesicht war noch schmutzig von dem Sturz auf die U-Bahn-Gleise, und ich übermüdet war.
«Ich fühle mich auch schlechter», sagte ich, lächelte aber dabei, um ihr zu zeigen, dass es mir gut tat, sie zu sehen.
«Was ist passiert?»
«Ich erzähl dir alles später. Aber zuerst willst du uns, wie ich von Harry gehört habe, was auf dem Klavier vorspielen.»
«Stimmt», sagte sie, bückte sich und riss die Klebestreifen von dem Karton. Sie öffnete die Verpackung und zog ein Keyboard heraus. «Meinst du, es geht hiermit?», sagte sie und hielt es Harry hin.
Harry sah sich die Anschlüsse an. «Ich glaube, ich hab irgendwo noch einen Adapter. Moment.» Er ging zum Schreibtisch, zog eine Schublade voll mit elektronischen Teilen auf und nahm etliche in die Hand, bevor er zufrieden war. Er stellte das Keyboard auf den Schreibtisch, schloss es an den Computer an und holte das gescannte Bild der
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