Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
verstehen, warum sie überhaupt gewährt worden waren.
Nach zwei Wochen war Honma tot. Man fand ihn erhängt in einem Hotelzimmer in Osaka. Es gab Abschiedsbriefe an seine Familie, die Firma und andere ihm nahe stehende Personen. Sein Leichnam wurde in Windeseile eingeäschert, es gab keine Autopsie, und die Polizei von Osaka stufte seinen Tod ohne jede weitere Ermittlung als Selbstmord ein.
Und Honma war kein Einzelfall. Sein Tod war der siebte ‹Selbstmord› unter hochrangigen Japanern seit 1997, als das Ausmaß der Not leidenden Kredite bei Banken wie der Nippon Credit erstmals bekannt wurde, und die Opfer waren entweder mit der Untersuchung finanzieller Unregelmäßigkeiten beschäftigt oder sollten über derlei Unregelmäßigkeiten vor Gericht als Zeugen aussagen. Darunter waren ein Parlamentsabgeordneter, der über ungesetzliche Spendenbeschaffungen reden wollte, ein weiterer Direktor der Bank of Japan, der für kleinere Kreditinstitute zuständig war, ein Ermittler der Finanzkontrollbehörde und der Leiter der Abteilung für kleine und mittelgroße Kreditinstitute im Finanzministerium. In keinem einzigen dieser sieben Fälle wurden Ermittlungen eingeleitet. Die maßgeblichen Stellen in diesem Land lassen das nicht zu.»
Ich dachte an Tatsu und seine Verschwörungstheorie, die Augen starr hinter meiner Sonnenbrille.
«Man munkelt, dass es innerhalb der Yakuza eine Spezialtruppe gibt», sagte Bulfinch, nahm seine Brille ab und putzte die Gläser mit seinem Hemd, ‹Spezialisten für natürliche Tode›, die ihre Opfer nachts in Hotelzimmern aufschrecken, sie mit vorgehaltener Waffe zwingen, ihr Testament zu schreiben, ihnen Beruhigungsmittel injizieren und sie dann so erdrosseln und aufhängen, dass es wie Selbstmord aussieht.»
«Haben Sie irgendetwas gefunden, was diese Gerüchte bestätigt?», fragte ich.
«Noch nicht. Aber wo Rauch ist, ist auch Feuer.»
Er hob die Brille hoch über den Kopf, betrachtete sie prüfend und setzte sie wieder auf. «Und ich will Ihnen noch etwas sagen. So schlimm die Probleme bei den Banken auch sind, das Bauministerium ist noch schlimmer. Die Baubranche ist der größte Arbeitgeber in Japan – sie ernährt jeden sechsten japanischen Haushalt. Und sie ist der mit Abstand größte Förderer der LDP. Wenn man die Korruption in diesem Lande mit der Wurzel ausreißen will, dann muss man bei den Baufirmen anfangen. Ihr Vater war ein mutiger Mann, Midori.»
«Ich weiß», sagte sie.
Ich fragte mich, ob sie noch immer glaubte, dass der Herzinfarkt eine natürliche Ursache gehabt hatte. Mir wurde allmählich heiß.
«Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß», sagte Bulfinch. «Jetzt sind Sie an der Reihe.»
Ich sah ihn durch die Sonnenbrille an. «Können Sie sich irgendeinen Grund denken, warum Kawamura an jenem Morgen ohne die CD zu dem Treffen mit Ihnen gekommen ist?»
Bulfinch überlegte, bevor er antwortete. «Nein.»
«Die Übergabe sollte definitiv an dem Morgen stattfinden?»
«Ja. Wie gesagt, wir hatten uns schon vorher einige Male heimlich getroffen. An diesem Morgen wollte Kawamura mir die Ware aushändigen.»
«Vielleicht war er nicht an die CD herangekommen, vielleicht hatte er es an dem Tag nicht geschafft, alles darauf abzuspeichern, was er hatte abspeichern wollen, und war mit leeren Händen gekommen.»
«Nein. Am Tag davor hat er mir telefonisch mitgeteilt, dass er sie hatte. Er musste sie mir nur noch übergeben.»
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich wandte mich an Midori. «Midori, wo hat dein Vater gewohnt?» Natürlich wusste ich das bereits, aber das durfte ich sie nicht wissen lassen.
«Shibuya.»
«Welche Chome?» Chome sind kleine Unterabschnitte in Tokios zahlreichen Stadtbezirken.
«San-Chome.»
«Also am Anfang der Dogenzaka? Oberhalb des Bahnhofs?»
«Ja.»
Ich sah Bulfinch an. «Wo ist Kawamura an dem Morgen in den Zug gestiegen?»
«In Shibuya.»
«Ich hab da so eine Ahnung, der ich nachgehen werde. Ich rufe Sie an, wenn ich Recht habe.»
«Moment mal...», begann er.
«Ich weiß, dass Ihnen das jetzt seltsam vorkommen muss», sagte ich, «aber Sie müssen mir einfach vertrauen. Ich glaube, ich kann die CD finden.»
«Wie denn?»
«Wie ich schon sagte, ich habe da so eine Ahnung.» Ich bewegte mich Richtung Ausgang.
«Warten Sie», sagte er. «Ich komme mit.»
Ich schüttelte den Kopf. «Ich arbeite allein.»
Er packte mich am Arm und wiederholte: «Ich komme mit.»
Ich blickte auf die Hand an meinem Arm. Gleich darauf sank
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