Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
Kokaigijidomae erwähnte – das vereinbarte Signal für ein sofortiges, dringendes Treffen. Mit dem üblichen Code sagte ich ihm, dass er in das Cafe Doutor auf der Imoaraizaka in Roppongi kommen sollte. Es lag nicht weit von seiner Wohnung entfernt, so dass er schnell dort sein konnte.
Als ich zwanzig Minuten später eintraf, saß er bereits an einem Tisch im hinteren Teil des Cafes und las Zeitung. Sein Haar war auf einer Seite des Kopfes platt angedrückt, und er sah blass aus. «Tut mir Leid, dass ich dich aus dem Bett geholt habe», sagte ich, als ich ihm gegenüber Platz nahm.
Er schüttelte den Kopf. «Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?»
«Eins sag ich dir, der andere sieht noch schlimmer aus. Komm, wir frühstücken.»
«Ich glaube, ich nehme nur einen Kaffee.»
«Du willst keine Eier oder so?»
«Nein, Kaffee reicht mir.»
«Hört sich an, als hättest du eine harte Nacht hinter dir», sagte ich und stellte mir vor, was das bei Harry wohl bedeutete.
Er fixierte mich. «Du machst mir Angst mit diesem Smalltalk. Ich weiß doch, dass du den Code nicht benutzt hättest, wenn es nichts Ernstes wäre.»
«Du würdest mir sonst auch nicht verzeihen, dass ich dich aus dem Bett geholt hab», sagte ich.
Wir bestellten Kaffee und Frühstück, und ich erzählte ihm, was alles seit unserem letzten Treffen passiert war: wie ich Midori kennen gelernt hatte, von den Leuten in ihrer und dann in meiner Wohnung, dem Treffen mit Bulfinch, der CD. Von der letzten Nacht erzählte ich ihm nichts. Ich erzählte ihm nur, dass wir in einem Love Hotel abgestiegen waren.
Ich sah ihn da vor mir sitzen, spürte seine Sorge, und auf einmal wusste ich, dass ich ihm vertraute. Nicht bloß, weil ich wusste, dass er mir praktisch nichts anhaben konnte, was meistens der Grund dafür war, dass ich jemandem ein Minimum an Vertrauen schenkte, sondern weil er vertrauenswürdig war. Und weil ich ihm vertrauen wollte.
«Ich sitze jetzt so ein bisschen in der Klemme», sagte ich zu ihm. «Ich könnte deine Hilfe gebrauchen. Aber ... dazu brauchst du zuerst einiges an Hintergrundwissen. Wenn dir das nicht ganz geheuer ist, musst du's nur sagen.»
Er wurde ein wenig rot, und ich wusste, dass es ihm viel bedeutete, von mir um Hilfe gebeten, gebraucht zu werden. «Es ist mir geheuer», sagte er.
Ich erzählte ihm von Holtzer und Benny, der offensichtlichen CIA-Verbindung.
«Ich wünschte, du hättest mir das früher erzählt», sagte er, als ich fertig war. «Dann hätte ich dir vielleicht besser helfen können.»
Ich zuckte die Achseln. «Je weniger du weißt, desto weniger Sorgen muss ich mir deinetwegen machen.»
Er nickte. «Typische CIA-Haltung.»
«Du musst es ja wissen.»
«Du weißt doch, ich war bei der NSA im ‹Puzzle Palace›. Die von der CIA sind doch diejenigen, die auch noch richtig stolz auf ihre Paranoia sind. Und überhaupt, wieso sollte ich dir schaden wollen?»
«Ich bin nur vorsichtig, Kleiner», sagte ich. «Nimm's nicht persönlich.»
«Du hast mir damals in Roppongi aus der Patsche geholfen, erinnerst du dich nicht mehr? Meinst du, ich würde das vergessen?»
«Du würdest dich wundern, was die Leute alles vergessen.»
«Ich nicht. Überhaupt, hast du dir eigentlich schon mal überlegt, wie sehr ich dir vertraue, indem ich zulasse, dass du mir diese Informationen gibst, dass du mich zu einem potenziellen Angriffspunkt machst? Ich weiß, wie vorsichtig du bist, und ich weiß, wozu du fähig bist.»
«Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe», sagte ich.
Er sah mich lange an, ehe er antwortete. «Ich bewahre deine Geheimnisse schon lange. Und ich werde sie weiter bewahren. In Ordnung?»
Harry sollte man nie unterschätzen, dachte ich und nickte.
«In Ordnung?», fragte er erneut.
«Ja», sagte ich, weil ich keine Wahl hatte. «So, jetzt haben wir aber genug Süßholz geraspelt. Kommen wir zu dem Problem. Zuerst Holtzer.»
«Erzähl mir ausführlicher, woher du ihn kennst.»
«Nicht so kurz nach dem Essen.»
«So schlimm?»
Ich zuckte die Achseln. «Ich kenne ihn aus Vietnam. Er war damals bei der CIA, als Verbindungsmann zur SOG. Er hat Mumm, das muss man ihm lassen. Er hatte keine Angst davor, raus in den Dschungel zu gehen, nicht wie so manch anderer von den Erbsenzählern, mit denen ich da draußen zusammengearbeitet habe. Das gefiel mir an ihm, als ich ihn kennen lernte. Aber schon damals hatte er nur seine Karriere im Kopf. Das erste Mal aneinander geraten sind wir dann
Weitere Kostenlose Bücher