Tokio Killer - 02 - Die Rache
er.
«Ach, noch eins», sagte ich und steckte die Serviette ein. «Der Mann, über den Sie versucht haben, an mich ranzukommen. Haruyoshi Fukasawa. Er ist kürzlich gestorben.»
Er schluckte. «Ich weiß. Kanezaki hat es mir erzählt.»
«Was meinen Sie, was da passiert ist?»
«Nach dem, was ich von Kanezaki gehört habe, deutet alles auf einen Unfall hin.»
Ich nickte. «Die Sache ist nur die: Fukasawa war ein Freund von mir. Er hat kaum Alkohol getrunken. Aber als er von dem Dach gefallen ist, war er offenbar sternhagelvoll. Eigenartig, finden Sie nicht?»
«Falls Sie glauben, wir hätten irgendwas damit zu tun …»
«Vielleicht könnten Sie mir einfach nur sagen, wer es war.»
Wieder blickte er rasch nach rechts. «Ich weiß es nicht.»
«Na ja, Ihre Leute haben Harry beschattet. Und ich weiß, dass sein Tod kein Unfall war. Falls Sie mir nichts Besseres bieten als das, was Sie gerade gesagt haben, muss ich noch annehmen, dass Sie es waren.»
«Ich sage Ihnen doch, ich weiß nicht, wer es getan hat. Falls es wirklich kein Unfall war.»
«Wie habt ihr überhaupt rausgefunden, wo Harry wohnte?»
Er wiederholte Kanezakis Geschichte über Midoris Brief.
«Bei den wenigen Anhaltspunkten müssen Sie einheimische Helfer gehabt haben», legte ich ihm nahe.
Er sah mich an. «Sie scheinen eine Menge zu wissen. Aber ich werde den Einsatz von Einheimischen jetzt weder bestätigen noch abstreiten. Wenn Sie den Verdacht haben, dass einheimische Kräfte mit dem Tod Ihres Freundes zu tun haben, kann ich Ihnen nicht helfen. Wie gesagt, ich weiß es nicht.»
Hier im Café würde ich nicht mehr aus ihm herausbekommen. Ich hätte mir einen Moment mit ihm allein gewünscht.
Ich stand auf. «Ich melde mich», sagte ich.
Tatsu und ich hatten vereinbart, uns im Yoyogi-Park zu treffen, nachdem ich Biddle auf den Zahn gefühlt hatte. Ich ging mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen dorthin. Er wartete bereits, saß auf einer Bank unter einem der unzähligen Ahornbäume des Parks und las Zeitung. Er sah aus wie einer der Rentner des Viertels, die auf diese Weise den Tag verbrachten.
«Wie ist es gelaufen?», fragte er.
Ich berichtete ihm, was Biddle mir erzählt hatte.
«Ich habe schon von Tanaka gehört», sagte er, als ich fertig war. «Sein Vater hat in den Zwanzigern eine Elektronikfirma gegründet, die den Krieg überlebt hat und danach ungemein erfolgreich war. Tanaka hat sie nach dem Tod seines Vaters verkauft und lebt seitdem von dem beachtlichen Erlös. Er soll eine enorme Libido haben, vor allem für einen Mann, der auf die Siebzig zugeht. Außerdem soll er süchtig nach Kodein und anderen Narkotika sein.»
«Wo steht er politisch?»
«Nirgendwo, soweit ich weiß.»
«Und wieso sollte er dann ein CIA-Programm finanzieren, das Reformpolitiker unterstützt?»
«Genau das würde ich gern mit deiner Hilfe herausfinden.»
«Warum?»
Er sah mich an. «Ich brauche einen ‹bösen Bullen›. Und vielleicht finden wir eine Spur zu Murakami.»
«Nichts aus dem Burschen rausgeholt, den ihr festgenommen habt?»
Er schüttelte den Kopf. «Das Problem ist, dass er viel mehr Angst vor seinem Boss hat als vor mir. Aber ich fand es schon immer faszinierend, wie sehr ein Mensch nach achtundvierzig bis zweiundsiebzig Stunden Schlafentzug seine Meinung ändern kann. Vielleicht erfahren wir ja doch noch was von ihm.»
Er zog sein Handy heraus und tippte eine Nummer ein. Er stellte ein paar Fragen. Lauschte. Gab Anweisungen. Dann sagte er: «So da. So da. So.» Stimmt. Stimmt. Ja.
Er legte auf und drehte sich zu mir um. «Einer meiner Männer kommt uns abholen. Er fährt uns zu Tanakas Villa in Shirokanedai.»
Shirokanedai war Tokios vornehmste Wohngegend. Bis auf die Hauptverkehrsader Meguro-dori, die das Viertel durchzog, wirkten die schmalen Straßen mit Einfamilien- und Apartmenthäusern erstaunlich ruhig und friedlich. Als hätte das viele Geld die Hektik der Stadt bestochen und woanders hingeschickt. Das Viertel hatte eine gewisse Nonchalance. Die Frauen dort, in Tokio als Shiroganeze bekannt, sahen aus, als fühlten sie sich wohl in ihren Pelzen, wenn sie zwischen Besuchen in Teeläden und Boutiquen und Salons ihre Zwergpudel und Pinscher spazieren führten; die Männer sah man nur geschützt hinterm Lenkrad ihrer BMW- und Mercedes-Limousinen, die sie zu ihren hochkarätigen Jobs brachten; die Kinder wirkten locker und sorglos, ahnten noch nicht einmal, dass die Gegend, in der sie wohnten, die Ausnahme war und
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