Tokio Killer - 02 - Die Rache
Beobachtungsposten. Eigentlich gab es nur eine geeignete Stelle, wie ich wusste: die Gasse, die direkt auf der anderen Straßenseite parallel zum Gebäude verlief.
Ich ging zur Vorderseite, Sonnenbrille und Mütze auf, brennende Zigarette im Mund. Ich hielt den Kopf gesenkt und die Augen geradeaus gerichtet, genau die Haltung, die diese Typen einnehmen würden, um Zeugen und Kameras zu vermeiden.
Ich sah ihn auf der anderen Straßenseite, sobald ich um die Ecke bog. Er war gekleidet wie sein eben verblichener Partner. Ich ging direkt auf ihn zu, bewegte mich schnell, selbstbewusst. Die Sonnenbrillen, die wir aufhatten, boten zwar eine gute Tarnung, erschwerten aber bei Nacht die Sicht. Er hielt mich für seinen Partner. Er trat aus der Dunkelheit, als wollte er mich begrüßen, vielleicht weil er sich nicht erklären konnte, warum ich meinen Posten verlassen hatte.
Als ich drei Meter entfernt war, sah ich, wie er irritiert die Lippen spitzte. Bei zwei Metern sank sein Unterkiefer herab, weil er erkannte, dass hier irgendwas ganz eindeutig nicht stimmte. Bei einem Meter wurden alle seine Fragen mit einer Ladung Pfefferspray beantwortet.
Er riss die Hände vors Gesicht und taumelte nach hinten. Ich spuckte die Zigarette aus, steckte die Spraydose in eine Jackentasche und holte den Schlagstock hervor. Ich ließ ihn aufschnappen, trat hinter den Mann und schlug ihm den Stock quer über die Gurgel, diesmal mit einem stärkeren Ruck, der ihm nicht nur den Kehlkopf, sondern auch die Halsschlagadern zerfetzte. Ein paar Sekunden lang zerrten seine Finger an dem Metall und seine Füße suchten nach Halt, während ich ihn weiter zurück in die Gasse schleifte, aber als wir die tiefe Dunkelheit erreichten, war er schon tot. Ich tastete ihn ab und fand noch ein Messer und ein weiteres Handy. Das Messer ließ ich, wo es war. Das Handy nahm ich an mich.
Ich schob den Schlagstock zusammen und steckte ihn ein, dann ging ich ans Ende der Straße, wo eine Telefonzelle stand. Ich wusste nicht, ob Naomi Anruferkennung hatte, und ich wollte nicht das Risiko eingehen, sie von einem der beiden frisch erworbenen Handys aus anzurufen.
Ich wählte ihre Nummer. Sie meldete sich beim dritten Klingeln, und ihre Stimme klang etwas unsicher. «Hallo?»
«He, ich bin’s.»
Pause. «Wo steckst du?»
«Ich schaffe das heute Abend doch nicht mehr. Tut mir Leid.»
Wieder eine Pause. «Schon okay. Alles klar.» Sie klang erleichtert.
«Ich wollte dir nur Bescheid sagen. Ich melde mich demnächst, okay?»
«Okay.»
Ich legte auf und ging schnurstracks zur Rückseite des Gebäudes. Ich suchte Deckung in der Dunkelheit neben der Leiche, die ich dort zurückgelassen hatte.
Eines der Handys begann zu vibrieren. Ich nahm es heraus und klappte es auf.
«Hai», sagte ich.
Ich hörte Murakamis unverkennbares Knurren und spürte einen Adrenalinstoß durch meinen Körper jagen. «Er kommt heute Nacht nicht», sagte er. «Ich bin in einer Minute unten. Ruf Yagi-san an und wartet auf mich.»
Ich vermutete, dass Yagi einer der Kerle war, die ich ausgeschaltet hatte. «Hai», wiederholte ich.
Er legte auf.
Ich steckte das Handy zurück in die Jackentasche, nahm den Schlagstock heraus und hielt ihn eingefahren in der rechten Hand. Das Pfefferspray hatte ich in der linken. Das Herz dröhnte mir gleichmäßig in der Brust. Ich atmete tief durch die Nase ein, hielt die Luft an und stieß sie wieder aus.
Der Hintereingang lag versteckter, wurde weniger benutzt. Außerdem gab es dort keine Überwachungskamera. Ich wusste, dass er dort rauskommen würde. Genau wie ich.
Ich hielt mich am Rande des diffusen Lichtkegels einer Straßenlaterne, sodass Murakami mich sehen würde, ich aber durch das dämmrige Licht nicht genau zu erkennen wäre. Ich musste dafür sorgen, dass er so nah wie möglich an mich rankam, damit mir ein möglichst großer Überraschungseffekt gelang. Denn Überraschung war vielleicht der einzige Vorteil, den ich ihm gegenüber hatte.
Zwei Minuten später trat er aus dem Hintereingang. Ich blieb knapp außerhalb des Lichtkegels, Sonnenbrille auf, Mütze tief ins Gesicht gezogen.
Er hatte einen Hund dabei, der an der Leine zerrte. Ich brauchte eine Sekunde, bis ich ihn ohne den Maulkorb erkannte. Der weiße Pitbull, der nach meinem Kampf mit Adonis im Auto gewesen war.
Ach du Scheiße.
Ich hätte beinahe auf dem Absatz kehrtgemacht und die Flucht ergriffen. Aber die atavistischsten Instinkte eines Hundes werden durch Flucht erst
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