Tokio Killer - 02 - Die Rache
Messingstangen befanden. Auf einer Bühne hatte gerade eine große, langhaarige Blondine ihren Auftritt, bekleidet mit hochhackigen Schuhen, einem grünen Tanga und sonst nichts. Sie tanzte etwas lustlos, wie ich fand, aber die meisten Gäste im Club schenkten ihr trotzdem Aufmerksamkeit. Eine Russin, vermutete ich. Kräftig und mit großen Brüsten. In Japan heiß begehrt.
Harry hatte nichts von Floor-Shows gesagt. Es war ihm vermutlich peinlich. Meine Ahnung, dass etwas nicht stimmte, verstärkte sich.
Auf der anderen Bühne sah ich eine junge Frau, die aussah wie eine Mischung aus japanisch und lateinamerikanisch. Eine gute Mischung. Sie hatte das seidige, fast schimmernde dunkelbraune Haar, das sich so viele moderne Japanerinnen gern mit Chapatsu- Tönung ruinierten, und trug es kurz, mit tiefem Seitenscheitel. Auch die Form ihrer Augen war japanisch, und sie wirkte eher zierlich. Aber ihre Haut, ein sanftes Gold wie geschmolzener Karamell, wirkte irgendwie anders, wie bei einer Afrikanerin oder Mulattin. Auch ihre Brüste und Hüften, verlockend voll und etwas unpassend zu ihrer japanisch dimensionierten Figur, ließen auf eine ausländische Herkunft schließen. Sie benutzte die Stange gekonnt, umfasste sie hoch, posierte, drehte sich dann im Takt mit der Musik spiralförmig nach unten. Ihre Bewegungen zeugten von echter Vitalität, und es schien sie auch nicht zu stören, dass die meisten Gäste der Blondine zuschauten.
Rotgesicht bot mir an einem freien Tisch mitten im Raum einen Stuhl an. Nachdem ich mich rasch vergewissert hatte, dass ich von dem Platz aus den Eingang gut beobachten konnte, setzte ich mich. Es missfiel mir auch nicht, einen guten Blick auf die Bühne zu haben, wo die dunkelhaarige Frau tanzte.
«Wow», sagte ich auf Englisch und betrachtete sie.
«Ja, sie ist schön», erwiderte er auf Englisch. «Möchten Sie sie kennen lernen?»
Ich schaute ihr einen weiteren Augenblick lang zu, ehe ich antwortete. Ich wollte hier nicht eine der Japanerinnen am Tisch haben. Die Aussichten, ein nettes Gespräch zu führen und dabei auch einiges zu erfahren, waren besser, wenn ich mit einer Ausländerin plauderte und den Ausländer spielte.
Ich nickte.
«Ich sage ihr Bescheid.» Er reichte mir die Getränkekarte, verbeugte sich und zog sich zurück.
Die Getränkekarte bestand aus einem einzigen dicken, cremefarbenen Blatt Pergamentpapier und war in zwei Spalten in elegantem Japanisch beschriftet. Das Emblem des Clubs, die rote Rose, war diskret ganz unten aufgedruckt. Zu meiner Verblüffung sah ich, dass es eine phantasievolle Auswahl an Single Malts gab. Einen fünfundzwanzig Jahre alten Springbank, nach dem ich schon eine Zeit lang suchte. Und einen ebenso alten Talisker. Vielleicht würde ich ein Weilchen bleiben müssen.
Eine Kellnerin kam und ich bestellte den Springbank. Zehntausend Yen das Glas. Aber das Leben ist kurz.
Etwa ein Dutzend Frauen war um das Wohl der Gäste bemüht. Rund die Hälfte von ihnen waren Japanerinnen, die anderen sahen irgendwie europäisch aus. Alle waren attraktiv und geschmackvoll gekleidet. Die meisten unterhielten gerade Gäste, aber ein paar waren frei. Keine kam an meinen Tisch. Rotgesicht hatte wohl allen Bescheid gesagt, dass ich bereits um eine Bestimmte gebeten hatte. Alles gut organisiert.
Am Nebentisch wurde ein Japaner von drei Frauen umschmeichelt. Auf den ersten Blick machte er einen jugendlichen Eindruck, mit seinem schwarzen Haar, das aus dem sonnengebräunten, faltenfreien Gesicht nach hinten gekämmt war, und seinen strahlend weißen Zähnen. Doch als ich genauer hinschaute, sah ich, dass sein Äußeres künstlich war. Die Haare gefärbt, die Bräune aus dem Sonnenstudio, das makellose Gesicht wahrscheinlich das Produkt von Botox und Schönheitsoperationen, die Zähne Porzellankronen. Die Chemie und das Skalpell, sogar die drei attraktiven, jungen Frauen mit ihrem bezahlten, bewundernden Lächeln – das alles diente bloß dazu, eine dürftige Schutzwand gegen die unvermeidlichen Demütigungen des Alters und den Tod zu errichten.
Der Techno-Beat verklang, und die dunkelhaarige Tänzerin kreiste langsam zu Boden, die Beine um die Stange gespreizt, den Rücken durchgedrückt, den Kopf nach hinten geneigt. Auch die Blondine beendete ihren Auftritt, wenn auch nicht so spektakulär. Das Publikum applaudierte.
Die Kellnerin brachte meinen Springbank, der bernsteinfarben in einem Kristallglas schimmerte. Ich hob das Glas an die Nase. Schloss einen
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