Tokio Killer - 02 - Die Rache
Zögern, als wäre ich in solchen Dingen unerfahren und daher unsicher.
«Halbjapanerin. Ich komme aus Brasilien.»
Das gibt’s nicht, dachte ich. Ich hatte eine Reise nach Brasilien geplant. Eine lange Reise.
«Brasilien – woher genau?»
«Bahia.»
Bahia ist ein Bundesstaat an der Küste. «Salvador?», fragte ich nach der Stadt.
«Ja!», rief sie mit dem ersten echten Lächeln des Abends. «Wieso wissen Sie so viel über Brasilien?»
«Ich war ein paar Mal dort. Meine Firma hat Mandanten in der ganzen Welt. Um pai brasileiro e uma mãe Japonêsa – é uma combinacão bonita», sagte ich auf Portugiesisch, das ich mit Hörkassetten gelernt hatte. Halb Japanerin und halb Brasilianerin – eine wunderbare Mischung.
Ihre Augen leuchteten auf. «Obrigada!», sagte sie begeistert. Danke! «Você fala português?» Sie sprechen Portugiesisch? Ihre Augen, ihre Miene, ihre Haltung waren lebendig geworden, und erneut spürte ich diese vitale Energie, die ihren Tanz beseelt hatte. Die reale Person hatte offenbar vom Körper der Hostess Besitz ergriffen.
«Nur ein bisschen», sagte ich wieder auf Englisch. «Sprachen fallen mir leicht, und ich versuche, auf meinen Reisen ein paar Brocken der jeweiligen Landessprache zu lernen.»
Sie schüttelte jetzt langsam den Kopf und blickte mich an, als sehe sie mich gerade zum ersten Mal. Sie nahm einen Schluck von ihrem Drink, leerte das Glas.
«Noch einen?», fragte ich.
«Sim!», antwortete sie spontan auf Portugiesisch. Ja!
Ich bestellte noch zwei Talisker und wandte mich ihr dann wieder zu. «Erzählen Sie mir von Brasilien!», bat ich.
«Was möchten Sie hören?»
«Etwas über Ihre Familie.»
Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. «Mein Vater ist ein brasilianischer Aristokrat, aus einer der alteingesessenen Familien. Meine Mutter ist Japanerin der zweiten Generation.»
«Dann haben Sie also von ihr Japanisch gelernt?»
Sie nickte. «Japanisch von meiner Mutter, Portugiesisch von meinem Vater. Meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war, und mein Vater stellte ein englisches Kindermädchen ein, damit ich auch Englisch lernte.»
«Wie lange sind Sie schon in Japan?»
«Drei Jahre.»
«Die ganze Zeit hier im Club?»
Sie schüttelte den Kopf. «Im Club erst seit einem Jahr. Davor habe ich hier in Tokio im Rahmen des JET-Programms Englisch und Portugiesisch unterrichtet.»
JET, kurz für Japan Exchange and Teaching, war ein staatlich finanziertes Programm, das ausländische Lehrkräfte ins Land holte, damit sie ihre Muttersprache unterrichteten. In Anbetracht der Englischkenntnisse des Durchschnittsjapaners hätte das Programm vielleicht mal verbessert werden müssen.
«Sie haben so gut tanzen gelernt, indem Sie Sprachkurse gegeben haben?», fragte ich.
Sie lachte. «Tanzen habe ich durchs Tanzen gelernt. Als ich vor einem Jahr hier im Club anfing, war ich so schüchtern, dass ich mich auf der Bühne kaum zu bewegen getraute.»
Ich lächelte. «Nicht zu glauben.»
«Ist aber wahr. Ich bin sehr sittsam erzogen worden. Als Teenager hätte ich mir so etwas wie hier nicht im Traum vorstellen können.»
Die Kellnerin kam und stellte zwei Kristallgläser mit Talisker und zwei Gläser mit Wasser auf den Tisch. Naomi gab gekonnt einen Tropfen Wasser in den Whisky, ließ ihn einmal kreisen und hob das Glas an die Nase. Wäre sie noch im Hostessenmodus gewesen, hätte sie mit dem Trinken auf das Signal des Gastes gewartet. Wir machten Fortschritte.
«Mmh», sagte sie genüsslich.
Wir stießen an und tranken.
Sie schloss die Augen. «Oh», sagte sie. «Ist der gut.»
Ich lächelte. «Wie sind Sie überhaupt hier im weltberühmten Damask Rose gelandet?»
Sie zuckte die Achseln. «In den ersten beiden Jahren in Japan habe ich rund drei Millionen Yen verdient. Abends habe ich Privatunterricht gegeben, um mir was dazuzuverdienen. Einer meiner Schüler hat mir irgendwann erzählt, er kenne ein paar Leute, die einen Club aufmachten, wo ich wesentlich mehr verdienen könnte. Ich habe mich erkundigt. Und hier bin ich.»
Drei Millionen Yen im Jahr – gut fünfundzwanzigtausend Dollar. «Sieht wirklich so aus, als hätten Sie sich verbessert», sagte ich und schaute mich um.
«Es ist ein guter Club. Das meiste verdienen wir mit privaten Lapdances. Bloß Tanzen, ohne Anfassen. Wenn Sie möchten, mach ich einen Lapdance für Sie. Aber fühlen Sie sich nicht gedrängt.»
Die Lapdances waren wahrscheinlich ihre Haupteinnahmequelle. Dass sie erst
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