Tokio Killer - 02 - Die Rache
so spät die Sprache darauf brachte, war ein weiteres gutes Zeichen.
Ich sah sie an. Sie war wirklich bezaubernd. Aber ich war aus einem anderen Grund hier.
«Vielleicht später», sagte ich. «Es macht mir Spaß, mit Ihnen zu reden.»
Sie lächelte geschmeichelt. Bei ihrem Aussehen empfand sie mein Zögern bestimmt als erfrischend. Gut so.
Ich lächelte ebenfalls. «Erzählen Sie mir mehr von Ihrer Familie!»
Sie nahm noch einen Schluck von dem Talisker. «Ich habe zwei ältere Brüder. Sie sind beide verheiratet und arbeiten in unserem Familienunternehmen.»
«Was für eine Branche?»
«Landwirtschaft. Es ist Tradition, dass die Männer das Geschäft fortführen.»
Der Begriff Landwirtschaft klang bewusst vage. Nach dem, was ich über Brasilien wusste, konnte das Kaffee, Tabak, Zucker oder alles zusammen bedeuten. Auch Grundstückshandel. Ich vermutete, dass ihre Familie wohlhabend war, sie das aber nicht an die große Glocke hängen wollte.
«Was machen die Frauen?», fragte ich.
Sie lachte. «Die Frauen studieren irgendetwas, damit sie eine vernünftige Ausbildung haben und auf Partys gescheite Gespräche führen können. Dann heiraten sie in die richtigen Familien ein.»
«Wie ich sehe, haben Sie sich für einen anderen Weg entschieden.»
«Studiert habe ich – Kunstgeschichte. Aber mein Vater und meine Brüder wollten, dass ich danach heirate, und ich war einfach noch nicht so weit.»
«Und wieso ausgerechnet Japan?»
Sie blickte zur Decke und spitzte die Lippen. «Es ist albern, aber wenn ich Japanisch höre, klingt es für mich wie meine Mutter. Und ich fing an, das Japanisch zu vergessen, das ich von ihr gelernt hatte. Das war so, als würde ich einen Teil von ihr verlieren.»
Für einen Augenblick tauchte das Gesicht meiner Mutter vor meinem inneren Auge auf. Sie war zu Hause gestorben, als ich in Vietnam war.
«Das ist überhaupt nicht albern», sagte ich.
Wir schwiegen. Jetzt, dachte ich.
«Und wie gefällt Ihnen die Arbeit hier?», fragte ich.
Sie zuckte die Achseln. «Es ist in Ordnung. Die Arbeitszeiten sind verrückt, aber ich verdiene gutes Geld.»
«Behandelt die Geschäftsleitung euch gut?»
Wieder zuckte sie die Achseln. «Kein Grund zu klagen. Niemand verlangt von uns Sachen, die wir nicht machen wollen.»
«Was für Sachen meinen Sie?»
«Na ja. Wenn man einen Lapdance macht, wollen manche Kunden mehr. Wenn die Kunden zufrieden sind, kommen sie wieder und lassen ordentlich Geld hier. Deshalb werden in einigen Clubs die Frauen manchmal von der Geschäftsleitung unter Druck gesetzt, die Kunden zufrieden zu stellen. Mit anderen Dingen.»
Mein Ausdruck war entsprechend besorgt. «Andere Dinge?»
Sie winkte ab. «Nichts», sagte sie.
Ändere den Kurs. «Was ist mit den anderen Frauen?», fragte ich mit einem Blick durch den Raum. «Wo kommen die her?»
«Ach, aus der ganzen Welt.» Sie zeigte auf eine große Schönheit mit kastanienbraunem Haar in einem paillettenbesetzten Kleid, die Mr. Botox umgarnte. «Das ist Elsa. Sie kommt aus Schweden. Und neben ihr, das ist Julie aus Kanada. Die Frau, die vorhin auf der anderen Bühne getanzt hat, ist Valentina aus Russland.»
«Was ist mit den Frauen aus Japan?»
«Das da sind Mariko und Taeka», sagte sie und deutete auf zwei zierliche Frauen an einem Ecktisch, die soeben etwas getan oder gesagt hatten, was ihren beiden offenbar stark alkoholisierten, amerikanisch aussehenden Kunden schallendes Gelächter entlockte. Sie blickte suchend in die eine Richtung, dann in die andere. «Ich sehe Emi oder Yukiko nicht. Die machen sich bestimmt gerade fürs Tanzen fertig.»
«Klingt wie eine gute Mischung», sagte ich. «Versteht ihr euch gut?»
Sie zuckte die Achseln. «Es ist genauso wie überall. Mit manchen Kolleginnen kommt man gut klar. Mit anderen weniger.»
Ich lächelte, als würde ich mich darauf freuen, ein bisschen Klatsch und Tratsch zu hören. «Wen mögen Sie und wen nicht?»
«Ach, im Großen und Ganzen komme ich mit fast allen zurecht.» Es war eine vorsichtige Antwort, die leicht an der Frage vorbeiging. Ich bewunderte ihre Gelassenheit.
Die Hintergrundmusik hörte auf und ein weiteres Techno-Stück begann. Gleichzeitig erschienen zwei Japanerinnen – oben ohne und mit hochhackigen Schuhen – auf den Tanzbühnen.
«Aha, das da ist Emi», sagte Naomi und zeigte auf die hübsche, kurvenreiche Frau auf der entfernteren Bühne. Sie wandte den Kopf und deutete mit einem Nicken auf die Bühne vor uns. «Und das ist
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