Tokio Killer - 02 - Die Rache
Leben verschwunden. Oder ich aus ihrem.
«Ich werde über euren Vorschlag nachdenken», sagte ich. «Bestell das deinen Vorgesetzten.»
«Ich hab doch gar keinen Vorschlag gemacht. Ich hab bloß spekuliert. Wenn ich meinen Vorgesetzten sage, worüber wir eben gesprochen haben, schicken die mich nach Langley und verpassen mir einen Schreibtischjob.»
«Sag Ihnen, was du willst. Wenn ich interessiert bin, melde ich mich. Bei dir persönlich. Ich gehe davon aus, dass das klar ist. Ich gehe ebenfalls davon aus, dass ihr nicht weiter nach mir sucht, erst recht nicht über andere. Wenn ich dahinter komme, dass diese Wünsche nicht respektiert werden, mache ich dich verantwortlich. Dich persönlich. Hast du verstanden?»
Er wollte etwas sagen, fing aber an zu würgen. Ich sah, was kam und trat zur Seite. Er beugte sich vor und übergab sich.
Ich fasste das als ein Ja auf.
Ich kehrte zur Ebisu-Station zurück und fuhr mit dem Zug nach Shibuya. Das kurze Stück zum Hatou-Café ging ich zu Fuß. Das fensterlose Hatou mit den dunklen Holzdielen und Tischen und der langen Hinoki-Theke, den unzähligen exquisiten Porzellantassen und köstlichen Kaffees war eines meiner Stammlokale in Tokio gewesen, das heißt, soweit ich es mir erlaubte, irgendwo Stammgast zu werden. Ich hatte es vermisst.
Als ich eintrat, begrüßte mich der Mann hinter der Theke mit einem leisen «Irrashaimase», blickte aber nicht auf. Stattdessen goss er weiter dampfendes Wasser aus einer Silberkanne in einen Filter, der sich auf einer Mokkatasse aus blauem Porzellan befand. Auf Augenhöhe mit der Kanne, beschrieb sein Arm kleine Kreise in der Luft, damit das Wasser gleichmäßig durch das Kaffeepulver im Filter lief. Er sah aus, als würde er malen oder ein Miniaturorchester dirigieren. Es war ein Genuss, so viel geübte Hingabe zu sehen, und ich schaute gebannt zu.
Als er fertig war, verbeugte er sich und begrüßte mich erneut. Ich erwiderte die Geste und ging nach hinten durch. Am Ende des L-förmigen Raumes bog ich nach links und sah Harry an einem der drei hinteren Tische sitzen.
«He», sagte er, stand auf und gab mir die Hand.
Ich schüttelte sie. «Ich bin froh, dass du hergefunden hast.»
Er nickte. «Deine Wegbeschreibung war gut.»
Ich blickte auf den Tisch, wo nur ein Glas Eiswasser stand. «Keinen Kaffee?»
«Ich wusste nicht, wann du hier sein würdest, deshalb habe ich zwei Mokka bestellt. Aus irgendwas, das sich ‹Nire Blend› nennt. Die Zubereitung dauert eine halbe Stunde. Dachte, den magst du – die Kellnerin hat gesagt, er sei ‹außergewöhnlich stark›.»
Ich lächelte wieder. «Stimmt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er nach deinem Geschmack ist.»
Er zuckte die Achseln. «Ich probier gern mal was Neues aus.»
Yukiko, dachte ich.
Wir setzten uns. «Und? Wie ist es gelaufen?», fragte er.
Ich holte Kanezakis Brieftasche hervor und schob sie ihm über den Tisch zu. «Du wurdest verfolgt», sagte ich.
Er öffnete sie und sah den Ausweis. «Ach du Scheiße», sagte er leise. «CIA?»
Ich nickte.
«Aber wie? Und warum?»
Ich erzählte ihm kurz von meiner Unterhaltung mit Kanezaki.
«Dann haben sie sich also nur für mich interessiert, weil sie sich für dich interessieren», sagte er, als ich geendet hatte.
Ich nickte langsam. «Sieht ganz so aus.»
«Meinst du, die wissen, wer ich bin? Ich meine, außer dass ich irgendwie mit dir zu tun habe?»
«Schwer zu sagen. Kann sein, dass sie bei anderen Behörden nachgefragt haben. Dann wissen sie, dass du mal bei der NSA warst. Aber so gründlich sind sie nicht immer.»
«Es war gute Arbeit, mich über den Brief aufzuspüren. Blöd von mir, dass ich ihn abgeschickt habe.»
«Da steckt mehr dahinter. Der Brief allein kann nicht alles gewesen sein. Aber ich hatte keine Zeit zu fragen.»
Wir schwiegen einen Augenblick. Dann sagte er: «Könnte doch sein, dass es nur der Brief war. Ich habe ihn mit meinem Vornamen unterschrieben, aber meine Eltern haben sich für drei Kanji -Zeichen entschieden, nicht für zwei, wie es üblich wäre.» Auf seiner Hand malte er mit dem Finger die Schriftzeichen für «Frühling», «Geben» und «Ehrgeiz», eine ungewöhnliche Schreibweise für einen geläufigen Namen.
«Sie haben bestimmt auch Midori beschattet», sagte ich dann.
Er nickte. «Ja. Könnte sein, dass sie sie überwacht und ihre Post kontrolliert haben, in der Hoffnung, du würdest dich bei ihr melden. Stattdessen sind sie an mich geraten.»
«So wird’s
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