Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
Berühmtheit wäre passender. Ihre Vorgesetzten wussten um ihre einzigartigen Talente und machten sie sich mit skrupelloser Berechnung zunutze, aber sie wusste, tief in ihrem Innern betrachteten sie sie irgendwie als besudelt von dem, was sie von ihr verlangten. Eine Frau, die sich in das Leben ihrer Opfer einschlich, die Nacht für Nacht mit den Ungeheuern schlief, in dem sicheren Wissen, dass sie ihnen den Tod bringen würde, so eine Frau war selbst den Besten auf der Führungsebene nicht ganz geheuer. Und die anderen, so argwöhnte sie, hielten sie für eine Hure.
Manchmal erfasste sie eine eiskalte Wut auf die Männer, die so dachten, dann wieder taten sie ihr fast leid. Männer waren einfach gestrickt: Sie waren lustgesteuert, das war ihr Problem. Und deshalb gingen sie davon aus, dass es bei Frauen genauso sein sollte. Dass eine Frau aus ganz persönlichen, berechnenderen Gründen mit einem Mann schlafen könnte, sogar aus Gründen der Staatssicherheit, warf sie aus der Bahn. Sie fragten sich, ob sie ebenso verwundbar waren wie die Opfer dieser Frau, und das machte sie nervös. Wenn die Frau noch dazu attraktiv war und sie sie insgeheim begehrten, wurden sie mehr als nervös, sie wurden regelrecht zappelig. Hure nannten sie sie, um sich selbst damit zu beruhigen, dass letztlich sie diejenigen waren, die das Sagen hatten.
Delilah fragte sich, warum sie sie diesmal herbestellt hatten. Ihre aktuelle Operation lief doch wunderbar, eine unkomplizierte »Honigfalle« für einen saudischen Diplomaten in Paris, der seinen religiösen Überzeugungen untreu geworden war, als er ihr langes, naturblondes Haar sah und die Art, wie es um ihre Schultern wallte, wenn sie es offen trug. Als er ihre blauen Augen sah, die von seinem unbeholfenen Gestammel natürlich unglaublich fasziniert waren, und ihr verführerisches westliches Dekolleté und die Porzellanhaut darunter. Der Mann war auf ihre Geschichte von dem stets abwesenden Ehemann und ihrer Sehnsucht nach wahrer Liebe hereingefallen. Und jetzt war er fast reif, sich das tränenrührige Märchen anzuhören, jemand habe von ihrer leidenschaftlichen Affäre mit ihm erfahren und drohe ihr nun mit einem öffentlichen Skandal - ein Skandal, der natürlich auch ihn selbst betreffen würde -, es sei denn, er wäre zu gewissen Dingen bereit. Es handelte sich an und für sich nur um Kleinigkeiten, durch die er mit der Zeit aber immer angreifbarer werden würde, bis ihre Leute ihn voll und ganz in der Hand hätten. Warum rief man sie zurück, wo sie doch so nah dran war? Sie hatten die normalen Kommunikationswege benutzt, ohne Abbruchsignal, daher wusste sie, dass sie nicht in Gefahr war, dass die aktuelle Operation nicht aufgeflogen war. Aber gerade deshalb waren ihr die Gründe für den Rückruf umso rätselhafter.
Ihre Papiere waren völlig in Ordnung, und obwohl Hebräisch nicht mehr ihre Hauptsprache war, sprach sie es noch immer wie eine Einheimische, sodass sie mit ihrem Bordkoffer reibungslos die Passkontrolle passierte. Sie musste zum Crowne Plaza auf der Hayarkon Street, einem netten, anonymen Businesshotel, wohin sie für das Treffen bestellt worden war. Die Teilnehmer würden zur Tarnung getrennt an- und abreisen, und sie würden dieses Hotel über Monate hinweg nicht mehr benutzen. Nach dem T reffen würde sie ihre Eltern anrufen und sie in ihrem Haus in Jaffa besuchen, wo sie auch übernachten würde. Sie kündigte ihre Besuche nie vorher an. Ihre Eltern wussten, dass ihr Job, was immer sie auch tat, es unmöglich machte, vorher Bescheid zu sagen. Aber zuerst kam das Berufliche.
Sie wechselte mehrmals das Taxi und vergewisserte sich auch noch mit diversen anderen Tricks, dass sie nicht verfolgt wurde. Als sie sich ganz sicher war, fuhr sie zum Hotel. Sie nahm den Aufzug in den vierten Stock und ging zu Zimmer 416. Sie musste nicht erst suchen - vor der Tür standen zwei Männer mit Bürstenschnitt, jeder mit einem Ohrhörer und einer Uzi. Diese offensichtliche Sicherheitsmaßnahme war ungewöhnlich. Irgendetwas war eindeutig nicht in Ordnung.
Einer der Männer überprüfte ihren Ausweis. Anscheinend zufrieden öffnete er die Tür und schloss sie gleich wieder hinter ihr. Drinnen saßen drei Männer an einem Tisch. Zwei kannte sie - Boaz und Gil. Der dritte war rund zwanzig Jahre älter, und sie brauchte eine Sekunde, bis sie wusste, wer er war. Sie hatte ihn erst einmal gesehen.
Großer Gott! Der Direktor! Was war hier los?
»Delilah, shaloin«, sagte der ältere
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