Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
Henker, das sind unterschiedliche Rollen. Der Richter entscheidet, und der Henker führt die Entscheidung aus. So läuft das. Wir tun nur, was von uns verlangt wird.«
»Das ist eine interessante Sichtweise«, sagte ich beklommen.
»Die einzig Mögliche. Ich hab gar nicht gewusst, dass du so ein Philosoph bist, Partner. Im Ernst, ich hab dich noch nie so viel reden hören.«
»Tut mir leid.«
»Kein Grund, dich zu entschuldigen. Aber ich bin wirklich der Meinung, allzu tiefschürfende Gedanken sind nicht unbedingt ratsam für Männer wie unsereins. Sonst denken wir noch irgendwann, wir wären die Richter oder so, und wo kämen wir da hin?«
Der Kellner brachte den Nachtisch. Er schmeckte gut, aber ich war mit den Gedanken woanders. Dox fragte: »Und wie geht's weiter? Mit Manny, meine ich.«
Ich überlegte. »Na ja, so wie zuletzt kommen wir nicht noch einmal an ihn ran. Erstens hat er mich genau gesehen, und zweitens wird er bestimmt zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen treffen.«
»Ja, das sehe ich auch so.«
»Wir brauchen eine neue Variable in der Rechnung, etwas, was uns eine ganz neue Herangehensweise eröffnet. Und die einzige Möglichkeit, die ich da sehe, wären Informationen von Boaz und Gil. Wenn sie herausfinden, für wen die beiden Typen arbeiten, die wir auf der Toilette ausgeschaltet haben, hätten wir vielleicht schon mal etwas in der Hand, womit wir anfangen könnten. Andernfalls halt ich die Operation für tot.«
»Dann können wir also nur abwarten, was die Israelis anzubieten haben.«
»So ist es.«
Er lehnte sich zurück und grinste. »Also, meiner nicht gerade geringfügigen Erfahrung nach kann man sich an keinem Ort der Welt die Wartezeit besser versüßen als in Bangkok.«
Ich seufzte und kam mir vor wie ein Vater, der einen Teenager zurechtweist. »Wir sind mit unserer Arbeit noch nicht fertig. Und du wirst keine große Hilfe sein, wenn du sämtliche Körperflüssigkeiten erschöpft hast und einen Kater auskurierst.«
Er lachte. »Ja, Mom.«
»Hör mal, halt dich bitte bereit für den Fall, dass ich einen Anruf kriege und wir rasch reagieren müssen.«
Er nickte und sagte dann: »Wie wär's, wenn wir zusammenbleiben, dann bin ich gleich da, wenn du mich brauchst. Geh doch heute Abend mit mir zusammen aus.«
»Nein, ich glaube ...«
»Na los, Mann, wann hattest du das letzte Mal anständigen Sex? Oder überhaupt Sex?«
Ich schüttelte den Kopf. »Eine Nacht mit Prostituierten ist nicht gerade nach meinem Geschmack.«
»Wer hat denn was von Prostituierten gesagt? Die einheimischen Mädchen werden sich dir an den Hals werfen, wenn sie dich mit einem gut aussehenden Fremden wie mir zusammen sehen. Und übrigens, ich glaube, du weichst meiner Frage aus.«
Ich dachte an Delilah, sagte aber nichts. »Komm schon, Mann, wir besorgen dir was von dem Schwarzmarkt-Viagra."
"Lieber nicht.«
»He, mit einer doppelten Dosis kriegst du das hin. Außerdem schwappt noch ein Viertelliter von meinem Blut in dir herum. Das kommt dir bestimmt auch zugute.«
Er meinte das Blut, das er mir gespendet hatte, nachdem ich in Kwai Chung fast verblutet war.
»Ich meine, ich bin einfach nicht in der Stimmung für >One Night in Bangkok«, sagte ich.
»Was denn? Hast du Angst, du könntest dich tatsächlich amüsieren? Weißt du was? Ich verspreche dir, wenn ich sehe, dass du lachst und deinen Spaß hast, sag ich es nicht weiter. Ich weiß ja, du hast deinen Ruf zu verlieren.«
Ich dachte darüber nach. Vielleicht würde ich einen langen Spaziergang über die weniger frequentierten Boulevards der Stadt machen. Ich könnte in ein paar der Lokale gehen, wo ich einmal mit anderen, vom Krieg verhärteten jungen Männern gezecht hatte, die mir im Rückblick noch erstaunlich unschuldig vorkamen. Ich könnte mir diese Relikte im heutigen Bangkok anschauen und dann herausfinden, wie meine Erinnerungen sie mit Leben erfüllten oder entstellten. Aber als ich über diese Möglichkeiten nachdachte, stellte ich erstaunt fest, dass ich eigentlich nicht allein sein wollte.
»Prima!«, sagte Dox, der mein Zögern als ein Ja auffasste. »Wir essen irgendwo zu Abend, ziehen durch die Bars, quatschen die Ladys an, mal sehen. He, du hörst doch gern Jazz, richtig? Ich kenne da eine neue Bar auf der Silom Road, die genau nach deinem Geschmack sein dürfte. Ich persönlich bevorzuge ja Discos, aber ich weiß, du bist ein Mensch mit erlesenem Geschmack, und ich bin bereit, dir das Vergnügen zu gönnen.«
Ich nickte
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